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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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einem Konfliktmodell, in dem der Ursprung der Störung nicht ausschließlich im Organismus des Individuums zu orten ist. Im psychoanalytischen Verständnis ist die neurotische Depression, wie jede Neurose, ein Ausdruck des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft und der von ihm ausgelösten innerpsychischen Dynamik. Die Symptomatik ist in diesem Verständnis eine Leistung der Persönlichkeit, der ein Sinn zukommt, etwa eine Schutzfunktion. Daraus resultiert die gegensätzliche therapeutische Aufgabenstellung zwischen dem biologistischen Konzept und dem psychodynamischen Konzept. In der dynamischen Behandlung der Depression kann esnicht darum gehen, einzelne Ausdrucksformen – Symptome – des Konflikts zu beseitigen, es geht vielmehr um die Erkenntnis der Bedeutung der Symptome und um die Bearbeitung des Konflikts. Diese Sichtweise repräsentiert auch heute noch das Gegenmodell zu den Erklärungen, die das biologische Krankheitsmodell anbietet, und sie gefährdet damit die Vormachtstellung der biologischen Psychiatrie. Die Empfehlung zu einer bestimmten Therapieform ist eine Auswirkung dieser Konkurrenzsituation, sie will den Konkurrenten ausschalten, indem sie ihn verschweigt.
    Dass aus der psychoanalytischen Literatur abgeleitet wird, dass die Psychoanalyse und ihr verwandte Psychotherapien über keine ausreichende Erfahrung mit der Behandlung der Depression verfügen, ist ein Fehlschluss. Die Behandlung der schweren Depression, der Melancholie, war nie ein Schwerpunkt der analytischen Psychotherapie im ambulanten Setting. Das ist selbstverständlich, wenn man die seelische Situation und das Ausdrucksverhalten der Melancholiker bedenkt. Viele Menschen, die heute als Depressive diagnostiziert werden, wären aber vor den Zeiten des DSM 4 und des ICD 10 als Neurotiker erkannt worden und gehörten und gehören dementsprechend zur Stammklientel der dynamisch orientierten Psychotherapien.
    Die amerikanische Schriftstellerin Elizabeth Wurtzel hat in ihrem Bestseller
Prozac Nation
die Bedeutung der Psychotherapie klar und scharf formuliert: „Aber nach sechs Jahren Umgang mit Prozac weiß ich, es war nicht nur das Ende der alten Probleme, sondern auch der Anfang der neuen“. Und: „Einige Jahre lang, nachdem ich Medikamente nahm […] mied ich die Psychotherapie. Ich ging zu einem Psychopharmakologen, der im Grunde ein lizensierter Drogenhändler war, holte mir meine Rezepte und glaubte, das wäre genug. Und außerdem schien es so, als wären die Drogen, abgesehen von gelegentlichen Zusammenbrüchen, wirklich die Lösung.“ Sie habe jedoch erkennen müssen, dass sie weiterhin Beziehungsschwierigkeiten hatte und bisweilen in tiefe Depressionen verfiel. Vor allem habe sie nicht mehr gewusst, „wie sie in einer normalen, nicht-depressiven Welt“ funktionieren sollte. Daher kam sie zum Schluss, doch auch eine Psychotherapie zu brauchen: „Ich brauchte einen guten Therapeuten,der mir helfen würde, erwachsen zu werden. Ich brauchte einen Psychologen, der mir beibringen würde, wie man in einer Gesellschaft zurechtkommt, in der die große Mehrheit nicht auf Prozac angewiesen ist und deren Probleme und Interessen oft mit den meinen im Widerstreit liegen. Ich brauchte sehr lange, um so leben zu lernen, dass die Depression nicht mehr meine ständige Zuflucht war wie die Ginflasche für den Alkoholiker oder die Nadel für den Junkie, aber ich komme diesem Ziel schon näher. Mit 26 Jahren habe ich das Gefühl, als würde ich langsam die Pubertät hinter mich bringen.“ Und sie ist sich durchaus der Möglichkeit bewusst, dass möglicherweise ein kompetenter Therapeut bereits am Anfang ihrer „Depressionskarriere“ hätte verhindern können, dass sich „der depressive Zündfunke“ in ihr in „ein seelisches Großfeuer“ verwandelt hat.
    Die Schlusssequenz des Films, der 2002 nach Wurtzels Buch gedreht wurde, kann als symbolische Verdeutlichung der Weise, wie Psychotherapie wirkt, verstanden werden. Die Szene ist für den Film geschaffen, sie kommt in Wurtzels Buch in dieser Form nicht vor. Im Buch unternimmt Elizabeth im Badezimmer ihrer Therapeutin einen Selbstmordversuch mit Tabletten und wird von der Therapeutin in die Klinik eingeliefert. Im Film unternimmt sie den Selbstmordversuch, indem sie versucht, sich im Badezimmer die Pulsadern aufzuschneiden. Als das Blut bereits
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