Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation
Autoren: Rainer Erler
Vom Netzwerk:
na, und dann flog er eben los. Zuerst nach Washington D. C. zu unserer dortigen Redaktion und dann weiter nach Kanada.«
    Der Tee kam. Auf den Zuckerstücken stand Zweites Deutsches Fernsehen. Ein autarkes Gemeinwesen.
    »Wie ist das – darf ich das Material aus Kanada mal sehen?« Kufner hatte drei Stück Zucker genommen, sie in Ruhe ausgewickelt, nun rührte er langsam und bedächtig in seinem Tee. Dann fischte er sich, ohne hinzusehen, noch eine weitere Zigarette aus der Packung – eine qualmte bereits frisch angeraucht auf seinem Aschenbecher. Er schob mir die Packung über den Tisch. Vor einer Minute hatte ich ihm erzählt, daß ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr rauche… Das Zündholz flammte auf, dabei sah er mich wieder an und inhalierte den Rauch zwischen den einzelnen Sätzen:
    »Warum nicht? – Natürlich können Sie das Material aus Kanada sehen! Vorausgesetzt, die Damen im Schneideraum haben Zeit, die Rollen herauszusuchen. Es ist schon einige Wochen her, da sammelt sich allerhand an.« Er rührte weiter in der Tasse und beobachtete interessiert den Zerfall des ZDF-eigenen Zuckers. Er wählte eine Nummer – es war besetzt –, auch der zweite Versuch schlug fehl. »Die Mädchen quatschen wieder. Wir müssen selber hin. Aber erst, wenn Sie ausgetrunken haben – ganz in Ruhe, bitte, ja – und wenn Sie dann immer noch ernsthaft darauf bestehen und sich was davon versprechen…«
    Ich hätte sagen können: ›Nein, lassen wir das!‹ und ›So wichtig ist es ja auch wieder nicht!‹ aber…

8
     
     
     
    »Unmöglich! – Tut mir leid! Sie sehen doch selbst!« Das waren keine höflichen Ausflüchte. Das war ehrlich und deutlich. Die Hektik im Schneideraum sieben war echt. Frau Beilke, die Cutterin, wimmelte uns kommentarlos ab, ohne sich auch nur umzusehen. Wir standen hinter ihr in der Tür. Die Dame saß vor ihrem Schneidetisch, drei Männer hatten sie eingekreist: zwei Redakteure und ein Regisseur. Die musterten Kufner und mich ausgesprochen feindlich. Andere Abteilung. Außerdem hatten sie einen Termin! Deshalb starrten sie alle wieder auf die Mattscheibe des Schneidetisches, auf der nichts zu sehen war, gar nichts! Denn der Tisch gab keinen Laut, die Filmrollen bewegten sich nicht. Nur die Finger von Frau Beilke trommelten nervös auf die Platte, soweit die brennende Zigarette das zuließ. Rauchen verboten! Das Schild war dreißig mal vierzig, die Buchstaben feuerrot und acht Zentimeter hoch!
    Im Hintergrund durchwühlten zwei verstörte Mädchen ergebnislos die Kartons mit den Filmresten und Bildausschnitten. Offensichtlich war eine wichtige Szene verschwunden. Diese, Pantomime kenne ich doch.
    Cutterinnen bekommen in solchen Situationen immer einen ganz schmalen Mund, an dem man sich schneiden könnte. Auch Frau Beilke. Sie war nur von hinten zu sehen, aber man konnte es hören: »Na, was ist…?«
    Keine Antwort der Mädchen. Filmstreifen wurden gegen das Fenster gehoben, gegen das Licht, wurden abgerollt, aufgerollt, Zahlen wurden geflüstert. Hysterie breitete sich aus, Panik! Immer noch starrten vier Augenpaare – unsere nicht mitgerechnet – auf ein nicht vorhandenes Bild. Um sechzehn Uhr war Abnahme, die letzte und endgültige Vorführung vor der Sendung. Es mußte sich wohl um etwas Hochaktuelles handeln. Und es war bereits kurz nach zwei. »Na, was ist…?« – die zweite und vorletzte Warnung. Aber das gewünschte Stückchen Film war wirklich weg, hing unauffindbar und unerkannt zwischen tausend anderen Schnipseln an einem der über hundert Nägel der zahlreichen Körbe, lag vielleicht unter dem Tisch, befand sich, falsch einsortiert, in einer von fünfhundert Dosen, in einem der deckenhohen Stapel schwarzer Kartons, zusammengerollt unter vielen zigtausend Metern Film.
    »Kann man den Nixon nicht später einsetzen. – oder einfach ganz weglassen?«
    »Ich hab’ hier erst vierzehn Sekunden – wir brauchen mindestens sechzehn!«
    »Aber wir müssen doch weiter. Ich mach’ das einfach mit Text…!«
    »Der Nixon kommt rein!«
    Frau Beilke beteiligte sich bereits nicht mehr an der Diskussion zwischen Redaktion und Regie. Sie ließ die Rollen wieder rotieren; die Mattscheibe flimmerte, sie fuhr vor und zurück, zeichnete an, schnitt heraus, setzte ein, kürzte, verlängerte, und schließlich entdeckte sie die fehlende Szene: Die hing zusammen mit einem Dutzend anderer Streifen um ihren Hals. Ein beliebtes Versteck.
    »Da ist ja der Nixon!« – Einer hatte ihn erkannt. Frau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher