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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation
Autoren: Rainer Erler
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Roczinski legt sein Tonbandgerät, sein Mikrofon auf die niedere Brüstung, richtet es nach innen. Auch die Kamera bleibt außerhalb. Das Tor schließt sich hinter ihm. Am Brunnen ein Mann, schmales, asketisches Gesicht, blaß, ein heller Strohhut, helles Jackett. Roczinski begrüßt ihn. Nur wenige Wortfetzen dringen herüber: »Señor Professor Estrella…?«
    »Ich freue mich… freue mich sehr…«
    »Sie sprechen sehr gut deutsch… «
    »Kennen Sie Berlin, Leipzig, Dresden, Marburg? Ich war da – ja, kenne ich gut, als Student … Yo he estado ahi, si!«
    »Señor Professor Estrella… wir haben Sie gesucht. Verstehen Sie – gesucht – Lundquist und ich…«
    »Sie haben nichts mitgebracht? Ningun periodico – keine Zeitung – keine Zigarren? You never come to see a friend…«
    »Das Telegramm, Señor Professor… Das Telegramm: Die Götter von Nazca…«
    »Muy bien. Cigarros, no… bueno… «
    Ein Lächeln, Estrella wendet sich ab, unvermittelt, geht einfach davon, hinüber zum Brunnen.
    Ein hilfloser Blick von Roczinski zur Kamera hinter dem Gitter, dann folgt er Estrella.
     
    Roczinski schreibt weiter in seinen Notizen auf dünnem, blauem Papier:
     
    »Sie waren hier«, sagt Estrella, »sie waren hier und sind fort. Sie haben sich getäuscht«, sagte er, »getäuscht in uns.« Sie haben unseren Blitz gesehen, damals, den Blitz von Nevada, Hiroshima, Nagasaki… Das Signal für den Kosmos: Hier, ein neuer Planet, Aufbruch einer neuen Zeit – neue Energien.
    »Aber es war nur neue Macht, neuer Mord«, sagt Estrella. »Sie haben sich getäuscht. Nur technischer Fortschritt ohne moralische Qualifikation!«

78
     
     
     
    Noch Rolle zwölf:
    Das Teleobjektiv wandert über verwischtes Grün, das Gesicht eines Kretins, ein stupider, verwirrter Blick. Der Blütensammler. Dann schwenkt es weiter. Der Strahl der Fontäne zerstiebt auf bleichen Händen. Estrella lacht:
    »Oh – mein Deutsch ist schlecht … «
    »Aber nein, Señor Professor, im Gegenteil…« Eine lange, nachdenkliche Pause von Estrella, dann völlige Verwirrung:
    »Quién es Lundquist – wer ist Lundquist?«
    »Axel Lundquist? – Der Schwede! Sie kennen ihn…!« Aufleuchten, eine Erinnerung:
    »Yo lo he visto, si, ich habe ihn gesehen, ja – Sie sind gekommen mit Lundquist. Er war willkommen – ihn habe ich erwartet. Aber Sie? – Was wollen Sie – wer sind Sie…?«
    »Roczinski… Ich bin ein Freund von Lundquist!«
    »No no no! No amigo, keine Freund! Ich würde Sie kennen. Und Lundquist ist tot – ich habe ihn gefunden, in Nazca…!« Roczinski wischt diese Ungereimtheiten beiseite:
    »Das ist nicht möglich. Man hat mir gesagt, Sie haben dieses Haus seit zwei Monaten nicht verlassen, Herr Professor. Heute ist der siebente November. Das Unglück geschah am zweiten… «
    »No no no, es war vor diese Zeit – alles vor diese Zeit… hace mucho, lange, lange her…«
    Sie wandern schweigend, beide, unter Palmen, Apfelsinenbäumen, Hibiskus. Einschläfernder Singsang des Chores. Dann wieder das metallische Schlagen der Uhr. Mönche hinter dem Gitter, Indios, die meisten noch Kinder, klammern sich an die Stäbe, tuscheln und feixen, glotzen herüber.
     
    Roczinski schreibt:
     
    »Abgeschiedenheit und Ruhe – innere Einkehr – Möglichkeiten für Exerzitien – Buße – Meditation. Jeden Freitag zur Kommunion – das gilt für alle! Und allgegenwärtig die Diener der Kirche.
    Keine Bücher. Kein Radio. Keine Zeitungen. Seit dem 15. September heute der erste Besuch. Keinerlei Informationen für Estrella hier in ›El Salvador‹. Woher dann diese Erkenntnisse? Woher das Wissen um die Vorgänge draußen…?«
     
    Noch Rolle zwölf:
     
    Die Kamera sucht, schwenkt über Blüten und Gebüsch. Entdeckt schließlich Roczinski und Estrella hinter den Zweigen, verfolgt sie bei diesem letzten Versuch von Aufklärung und Verschleierung. Frage und Antwort: »Wann waren Sie dort … ?«
    »… in Nazca, ja…«
    »Wann waren Sie dort? Wann? – und warum? Sie haben telegrafiert… Wann haben Sie diese… diese ›Götter‹ gesehen?«
    »… ja, ja, gesehen, gesprochen… los he visto – y les he hablado… si!«
    »Wo? – In Nazca…?«
    »Si, si, en Nazca – aqui – hier – en todas partes – überall!«
     
    Roczinski schreibt:
     
    »Das Zeitalter des Feuers«, sagt Estrella. »Wir leben noch im Zeitalter des Feuers. Unsere gesamte Technik dreht sich noch«, wie er sagt, »um fossile Energie – Kohle – Öl: Reste einer
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