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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation
Autoren: Rainer Erler
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hatten die Cops schon weggebracht, in einer Zinkwanne. Auch die persönlichen Sachen, Koffer mit Kleidern, Tonbandgerät und so. Aber wie ich das Wrack auf meinem Hof stehen sah und wiedererkannte, da kam mir so ’ne Ahnung, das war reiner Instinkt. Ich wußte, da ist noch was drin. Und dann haben wir aufgeschweißt.«
    »Und? – Was gefunden?«
    »Steht hinter Ihnen!«
    Auf dem Rücksitz lag eine alte, verschmutzte Reisetasche aus Leder. Einige Riemen waren abgerissen, ein Griff war angesengt. Ich hatte das ungepflegte Stück für Wingards Gepäck gehalten.
    »Die gehört Roczinski?«
    »Jetzt gehört sie mir!«
    »Und was ist drin?«
    »Der Beweis für meine Geschichte: Tonbänder, Fotos, Tagebücher. Und elf Rollen Film! Ich habe mir alles genau angesehen. Recorder hab’ ich zu Hause, Filmprojektor hatte ein Freund. Glauben Sie mir, das Ganze ist eine Tragödie, nicht nur für diesen Roczinski – für uns alle!« Wingard holte die Tasche nach vorne und stellte sie mir auf den Schoß.
    »Hier, die ist verkäuflich – samt Inhalt.«
    »Sie können doch Roczinskis Tasche nicht verkaufen, Mister Wingard, die gehört Ihnen doch gar nicht!«
    »Sie werden lachen, ich kann. Es war mein Wagen. Er hat ihn nicht bezahlt. Er hat ihn zu Schrott gefahren. Das Wrack war freigegeben. Wenn ich dann noch was finde, dann ist das meine Sache. Ich halte mich da an die Gesetze meines Landes!«
    »Präsentieren Sie doch dem Fernsehen die Rechnung für den Wagen!«
    »So schlau war ich auch. Aber die hatten Roczinski zwei Wochen vor dem Autokauf gefeuert und seine Kreditkarten gesperrt. Das waren nämlich Firmenkarten, nicht mal seine eigenen! Nein, beim Fernsehen war bis jetzt nichts zu holen. Der Weg zu meinem Geld, der geht nur über diese Tasche.«
    »Also, wieviel wollen Sie haben? Zwölfhundert Dollar …?«
    »Moment, Moment mal, ja? Ich bin mit dieser Tasche aus den Staaten angereist, nicht nur, um Ersatz für meinen alten Wagen zu bekommen. Und seit ich gese hen habe, was drauf ist auf diesen Filmrollen, weiß ich auch, was die wert sind. Und ich habe inzwischen ’ne ganz andere Meinung von diesem Roczinski. Vorher hielt ich den für ’n ganz gewöhnlichen Gauner. Aber daß der sich an so was rangewagt hat – alle Achtung!«
    Immer noch vermied ich es, diese Tasche, die schwer auf meinen Schenkeln lag, zu berühren. Diese dunklen Flecke, das war nicht Schmieröl, das war Blut. Roczinskis Blut, vermutlich. Was denn sonst.
    Das war kein Nachlaß, kein Erbe, das war Grabschändung, war Leichenfledderei.
    Wingard zog am Reißverschluß. Der verhakte sich an den Riemen. Aber dann hatte ich den Blick frei und faßte auch hinein. Das waren Filmrollen. Eine vertraute Sache. Sie steckten in Plastiktüten, wie üblich. Kopierberichte hingen noch dran. Entwickelt hatte ein Labor in Los Angeles. Es war Farbmaterial, Eastman-Kodak-EF-Umkehr, sechzehn Millimeter. Weiter unten lag ein Kuvert mit Fotos und losen Zetteln, Notizen, Adressen, Belegen, Rechnungen von Hotels und Restaurants. Ein dickes Notizbuch mit eingestecktem Kugelschreiber, sah aus wie eine Art Tagebuch. Und dann noch ein Plastiksack mit zahllosen Tonbändern.
    »Was Sie da in der Hand haben, das ist eine Bombe! Eine Sensation. Wenn Sie die Tonbänder abgehört und die Filme gesehen haben, dann schlafen Sie drei Tage nicht mehr.« Wingard war ein guter Verkäufer. Gebrauchtwagen! Aber seine Bemühungen waren unnötig. Die schmierige Tasche und ihr Inhalt übten schon genug Faszination auf mich aus, auch ohne marktschreierische Werbung.
    Außerdem: wenn ich Filmrollen in der Hand habe, will ich auch wissen, was drauf ist.
    »Gut, Mr. Wingard, was soll der Spaß kosten?«
    »Zwanzigtausend Dollar!«

 
4
 
    Die Frühmaschine nach Frankfurt war proppenvoll. Sieben Uhr fünfundzwanzig. Das heißt: fünf Uhr dreißig von zu Hause weg. »Hallo, neben dir noch frei?«
    Rüdiger M. war früher bei einer Frankfurter Zeitung gewesen, hatte dann zwei Jahre lang einen Job in München und war jetzt Redakteur beim Zweiten Deutschen Fernsehen in Mainz. Eine Zufallsbegegnung. Wir hatten uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Rüdiger packte seinen Mantel nach oben und fiel erschöpft auf den Sitz neben mir. »Unchristliche Zeit, was? Aber die anderen Maschinen waren alle ausgebucht. Was gibt’s Neues? Machst du was für uns?« Wenn ich ihm erzähle, was ich vorhabe, kann ich meinen Laden zumachen. Regisseure dürfen ein gewisses Maß an Irrsinn nicht ungestraft
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