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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser
Autoren: Constanze Kurz
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dem ein erfahrener Venture-Kapitalist aus dem Nähkästchen plaudert: »Seien wir mal ehrlich, die meisten von Ihnen werden nicht deshalb reich werden, weil Iihr Unternehmen riesige Profite abwirft. Früher wäre vielleicht auch noch ein Börsengang dringewesen, aber im derzeitigen Marktumfeld werden das wohl nur wenige von Ihnen schaffen. Die Chance auf Wohlstand liegt für Sie darin, den Laden zu einem günstigen Zeitpunkt an einen größeren Konkurrenten zu verkaufen. Oder an eine etablierte Firma, die sich in Ihr Marktsegment bewegen will, aber den Zug in Ihre Marktnische verpaßt hat. Ich werde Ihnen jetzt mal erklären, wie sich dann der Unternehmenswert zusammensetzt. Diese Metriken sind auch vorher relevant, für eine Finanzierungsrunde, da Ihr Investor ja immer seinen Exit im Auge hat.«
    Die Methoden zur Unternehmenswertberechnung für ein Internet-Unternehmen drehen sich neben dem tatsächlich erzielten Umsatz um drei Kriterien: die Anzahl der Benutzer, wieviel Zeit sie auf der Webseite verbringen und – am wichtigsten – wie viele Daten sie von sich offenlegen. Anhand dieser Kriterien werden die Benutzer segmentiert, typischerweise in fünf bis zehn Gruppen, je nach Komplexität der Nutzerstruktur.
    In Gruppe A sind die aktivsten Benutzer, die permanent auf die Webseite kommen, im Schnitt bis zu zweieinhalb Stunden täglich verweilen, viele Freunde dort haben, freigiebig mit ihren Daten sind und positiv auf Werbeangebote reagieren. Mit starker Aktivität auf der Webseite verbindet sich fast immer eine deutliche Verbesserung der Datenqualität hinsichtlich der Aussagekraft des Profils. Es sind also die datentechnisch gläsernen Mitglieder, die in der Gruppe A zusammengefaßt werden. In Gruppe E sind hingegen die Karteileichen, die sich nur mal einen Account eingerichtet haben, aber kaum jemals wiedergekommen sind, keine Freunde auf der Plattform haben und nichts über sich preisgeben wollen.
    Wenn um die Bewertung des Unternehmens gefeilscht wird, geht es neben etwaigen Umsatzzahlen eigentlich nur noch um diese Kennzahlen zur Gruppierung der Nutzer und den Wert pro Stück in den einzelnen Gruppen. Für die Gruppe A kann der Wert leicht einen zweistelligen Euro-Betrag pro Person erreichen. Peter kommt bei diesen Ausführungen eine Bemerkung seines Lateinlehrers in den Sinn: Das Wort »Kapital« habe eine gemeinsame Wurzel mit dem lateinischen »caput«, hatte der Lehrer erklärt, dies bedeute »Anzahl der Köpfe einer Viehherde«.
    Betrachtet wird stets auch der Gewinn, der sich mit den Nutzern in den nächsten Jahren erzielen läßt. Obendrein ist die Wahrscheinlichkeit, daß Benutzer der Gruppe A die Plattform verlassen werden, gering. Sie haben viel Mühe und Zeit in ihr virtuelles Katzenkörbchen investiert, sie haben Bilder hochgeladen und ihre Profilseiten attraktiv gemacht. Sie haben ihre Freunde dorthin eingeladen und sich eine Reputation in den Diskussionsforen erschrieben. Ihr virtuelles Leben spielt sich zu einem guten Teil auf dem System ab, es ist in ihren Alltag integriert. Sie benutzen die Webseite auch übers Mobiltelefon, um unterwegs auf dem neuesten Stand zu bleiben. Das systeminterne Nachrichten-Feature hat für sie die E-Mail weitgehend ersetzt, da sowieso alle ihre Freunde ebenfalls Mitglieder sind.
    Die Karteileichen in Gruppe E sind demgegenüber bestenfalls ein paar Cent wert, auf die vage Hoffnung hin, daß sie durch gezielte E-Mails und Lockangebote reaktiviert werden könnten. Die Gruppen B bis D rangieren in ihrem Wert absteigend zwischen den Vielnutzern und den Centwerten.
    Zurück vom Seminar, ruft Peter seine Mitgeschäftsführer zusammen und erklärt ihnen das Gelernte. Neue Prioritäten werden ausgegeben. Als erstes wird bei einer Anwaltskanzlei die Ausarbeitung einer neuen Datenschutzerklärung in Auftrag gegeben, um in möglichst harmlos klingenden Worten den Nutzern ihr Einverständnis zur vollständigen Protokollierung und Weitergabe ihrer Informationen abzuluchsen.
    Peter macht dem Anwalt unmißverständlich klar, daß die neuen Bedingungen vor allem ein Ziel haben sollen: die tatsächliche Verwendung der Nutzerdaten gegenüber den Plattformmitgliedern zu verschleiern. Angesprochen werden soll ohnehin nur, was unbedingt erwähnt werden muß. Vollständig darf nirgends transparent werden, was tatsächlich gesammelt und weitergegeben wird. Der Anwalt nickt, er ist schon länger in der Branche tätig und weiß, was gefordert ist. Zufällig hat er vor wenigen Wochen
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