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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen
Autoren: Liz Jensen
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Krankenhaus nach ihr suchen. Das ist meine Strategie. Die Einzige, die mir einfällt. Ich parke und schließe Freddy ein. Es ist riskant. Die Chancen stehen vierzig zu sechzig, dass er aufwacht und in Panik gerät. Aber mir bleibt keine andere Wahl.
    »Ich suche Naomi Benjamin aus der Pflegeeinrichtung in Battersea. Ich habe gehört, dass sie hier sein soll.« Die Polizistinam Empfang scrollt durch eine Liste im Computer. Ich sehe Naomis Namen, bevor sie ihn entdeckt. Und auch das Übrige.
    Verdacht: Sabotage.
    Sollte Naomi tatsächlich die Türcodes deaktiviert und die Kinder freigelassen haben? Wenn sie von irgendeinem Wahnsinn ergriffen wurde, wie Sunny und Jonas und Farooq und de Vries, wäre die Antwort vielleicht Ja. Doch das ist undenkbar. Oder hat sie aus Sorge um die Kinder gehandelt? Ich muss es erfahren.
    Die Polizistin fragt: »Sind Sie ihr Anwalt?«
    Für solche Täuschungen bin ich nicht geschaffen. Aber mir bleiben kaum Alternativen. Ich wähle die beste aus. Ich deute auf die Aktenmappe, die ich bei mir habe. »Ich muss umgehend mit ihr sprechen.«
    »Das Befragungszimmer ist das zweite auf der rechten Seite.«
    Ich versuche, nicht zu rennen. Ich bin jetzt Anwalt. Anwälte rennen nicht. Nicht in Ausübung ihres Berufes. Sie sitzen dabei meist am Schreibtisch.
    Die Tür hat ein kleines, verstärktes Fenster, durch das ich Naomis Hinterkopf erkenne. Sie sitzt einer Polizistin gegenüber, die sich etwas notiert. Ich klopfe an. Die Polizistin schaut auf. Sie hat Sommersprossen und blonde Haare und ist jung, kaum älter als zwanzig. »Herein.«
    Ich trete ein und schwenke die Mappe. »Ich vertrete Naomi Benjamin.«
    »Hoffentlich können Sie sie zur Vernunft bringen«, seufzt die junge Polizistin und steht auf. »Sie ist nicht gerade kooperativ.«
    Naomi hat sich nicht umgedreht. Sie sitzt ganz starr da. Etwas an ihrer Haltung ist sonderbar.
    »Naomi«, sage ich. Sie reagiert nicht, also trete ich näher.Sie schaut unverwandt geradeaus. Kein Lächeln. Ich vermisse ihr Lächeln und die beiden Grübchen. Ich muss sie sehen. Ich will sie küssen.
    »Könnte ich eine Minute mit ihr allein sprechen?«
    »Sicher. Auch fünf. Sie gehört Ihnen.«
    Als die Polizistin gegangen ist, hocke ich mich neben Naomis Stuhl und ergreife ihre Hand, lasse sie aber sofort los. Sie ist kalt. Viel kälter, als sie sein sollte. Liegt es am Schock? Ich muss es recherchieren. Ich streiche ihr übers Haar. Wunderschönes Haar. Glatt und stark.
    »Professor Whybray ist tot«, sage ich. »Zu Tode getrampelt. Es waren die Kinder. Sie haben das Leben aus ihm herausgequetscht.«
    Sie nickt und blinzelt.
    »Haben Sie sie entkommen lassen?«
    Sie schaut sich im Zimmer um und nickt langsam.
    »Wieso?«
    »Weil hier einer drin ist«, flüstert sie und deutet auf ihre Brust.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Es ist reingekommen«, flüstert sie. »Ich habe getan, was es wollte. Ich musste.«
    »Wie meinen Sie das?«, flüstere ich zurück, den Mund ganz nahe an ihrem Ohr, mein Gesicht in ihrem seidigen Haar.
    »Freddy hatte recht. Wir gehören zur Alten Welt. Die Zeit arbeitet nicht so, wie Sie denken. Sie sind zurückgekommen, um uns zu stoppen.«
    Sie stößt mich zurück, hebt die Hand und ballt die Faust neben ihrem Auge.
    »Nein. Tu das nicht. Bitte, Naomi. Nein.« Ich ergreife ihren Kopf und drücke ihn an meine Brust.
    Aber sie behält die Hand, wo sie ist, mit gespreizten Fingern. Ich kann es nicht ertragen. Ich drücke ihre Fingeran mein Gesicht. Ihre Körpertemperatur muss deutlich unter siebenunddreißig Grad liegen. Ihr Fleisch ist kalt wie Stein. Plötzlich spielt mein Atem verrückt, hässliche Laute dringen aus mir hervor. Meine Augen füllen sich mit Flüssigkeit, die mir übers Gesicht läuft. Wie bei einem Angriff mit Tränengas. Naomi schaut mich mit einem sehr sanften Lächeln an. Sie hat jetzt beide Hände im Schoß liegen. Eine bescheidene Pose, wie man sie von den Madonnen auf italienischen Gemälden kennt. Sie sagt nichts. Ich fasse sie um die Taille. Ich will sie von hier wegtragen. Stattdessen vergrabe ich mein Gesicht an ihrem Bauch, zwischen ihren Brüsten. Die furchtbaren Geräusche gehen weiter. Ich kann sie nicht aufhalten.
    Ich merke nicht, wie die Tür aufgeht. Die junge Polizistin packt mich am Ellbogen. Sie zieht mich auf die Füße und gibt mir ein Taschentuch. Ich putze mir die Nase und wische mir die Augen ab.
    Sie legt mir die Hand auf die Schulter.
    »Sie sind kein Anwalt, oder? Ich meine, Sie benehmen sich
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