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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen
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glücklich und traurig zugleich. Ihre Augen waren groß und nass. »Zu viele. Viel zu viele.«
    »Sue…«
    »Nein, sag jetzt nichts Vernünftiges. Darf ich dich was fragen?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Wenn du eine Reise in die Zukunft machen würdest – was würdest du mitnehmen, Scotty?«
    »Was ich mitnehmen würde? Keine Ahnung. Was würdest du denn mitnehmen.«
    »Ich würde… ein Geheimnis mitnehmen. Kannst du etwas für dich behalten?«
    Ich fand die Frage alarmierend. Das hatte meine Mutter immer gefragt, wenn sie in den Wahnsinn abdriftete. Sie stand wie ein böser Schatten über mir und sagte: »Kannst du etwas für dich behalten, Scotty?«
    Das Geheimnis bestand unweigerlich in irgendeiner paranoiden Behauptung: dass Katzen ihre Gedanken lesen könnten; dass Vater ein Betrüger sei; dass die Regierung sie vergiften wolle.
    »Nun guck nicht so«, sagte Sue. »Ja oder nein.«
    »Wenn du mir dein Geheimnis verrätst, ist es keins mehr.«
    »Kann schon sein. Aber ich muss es jemandem erzählen. Ray kommt nicht in Frage, weil Ray in mich verliebt ist. Und Hitch kommt nicht in Frage, weil Hitch nicht mal ›Liebe‹ buchstabieren kann.«
    »Das klingt rätselhaft.«
    »Ja. Kann ich nichts dafür.« Sie warf einen Blick auf die ferne blaue Säule. »Viel Zeit bleibt uns wohl nicht mehr.«
    »Zeit wozu?«
    »Ich meine, er wird nicht standhalten. Der Chronolith. Er ist instabil. Er ist einfach zu schwer. Sieh ihn dir an, Scotty. Siehst du nicht, wie er zittert?«
    »Das ist die Hitze, die aus der Prärie kommt. Eine optische Täuschung.«
    »Auch, aber nicht nur. Ich habe gerechnet und gerechnet. Die roten Werte drüben im Bunker. Und die hier.« Ihr Notizbuch. »Ich habe Höhe und Radius vermessen, grob zumindest. Und egal, wie vorsichtig ich bei den Schätzungen bin, der Grenzwert wird überschritten.«
    »Der Grenzwert?«
    »Weißt du noch? Wenn ein Chronolith zu massiv ist, ist er nicht stabil – hätte ich die Arbeit veröffentlichen dürfen, wäre die Rede vom Chopra-Wert.« Ihr sonderbares Lächeln verlor sich, und sie blickte beiseite. »Vielleicht bin ich zu eitel für diese Aufgabe. Ich darf das nicht zulassen. Ich muss zu Kreuze kriechen, Scotty. Denn man wird mich, weiß Gott, kreuzigen.«
    »Soll das heißen, der Chronolith zerstört sich selbst?«
    »Ja. Heute noch.«
    »Das ist dann aber kein Geheimnis mehr.«
    »Die Zerstörung nicht, aber die Ursache, Scotty. Die Ursache! Der Chopra-Wert ist meine Arbeit. Nur ich weiß Bescheid. Und ich bezweifle, dass außer mir noch jemand den Sextanten benutzt. Für exakte Messungen ist es schon zu spät.«
    Das machte mich nervös. »Sue, selbst wenn das alles stimmt, die Leute wissen doch…«
    »Was wissen die Leute? Alles, was die Leute wissen, ist, dass der Chronolith zerstört wurde und dass wir hier waren, um ihn zu zerstören. Es liegt doch auf der Hand. Unsere Mission war – mit ein bisschen Verspätung – erfolgreich. Und die Wahrheit bleibt unser Geheimnis.«
    »Aber warum denn?«
    »Weil ich es nicht ausplaudern darf, Scotty, und du auch nicht. Wir müssen dieses Geheimnis mindestens zwanzig Jahre und drei Monate für uns behalten oder es funktioniert nicht.«
    »Verdammt, Sue – oder es funktioniert was nicht?«
    Sie blinzelte. »Armer, Scotty. Du bist ganz durcheinander. Hör zu!«
     
    Nicht, dass ich alles verstanden hätte, aber so viel schon: Wir hatten nicht verloren.
    Die Kameras waren nach wie vor auf den Kuin von Wyoming gerichtet und würden binnen Stunden, wenn nicht Minuten Zeuge seines spektakulären Einsturzes werden. Dieses rund um die Welt gesendete Bild würde, so Sue, die besagte Rückkopplung unterbrechen und Kuins Aura der Unbezwingbarkeit zerschlagen. Siegen oder verlieren, Ausgang offen. Kuin war wieder auf den Status eines Gegners reduziert.
    Und der Welt blieb nur eins: zu glauben, dass uns gelungen war, was wir vorgehabt hatten. Der Chopra-Wert hingegen musste unser Geheimnis bleiben…
    Denn, so Sue, es sei kein Zufall, dass dieser Chronolith die physikalische Grenze der Stabilität überschritten hatte.
    Dabei handle es sich, erklärte sie, ganz offensichtlich um einen Sabotageakt.
    Moment mal: hausgemachte Sabotage eines Chronolithen? Wer würde so etwas tun? Ein Insider natürlich. Jemand, der nicht nur in die Physik der Chronolithen eingeweiht, sondern mit ihren feinsten Nuancen vertraut war. Jemand, der sich mit den physikalischen Grenzen auskannte und wusste, wie man sie manipulieren konnte.
    »Der Pfeil«,
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