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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division
Autoren: Ken MacLeod
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sagte:
    »Wir haben Silikatmangel.«
    Ich kraulte das Pseudotier und hoffte, niemand hätte
meine Lippenbewegungen bemerkt. Auf einmal verspürte ich
Hunger und hatte Lust auf einen Kaffee. Am nächsten
Buffettisch blieb ich stehen. Eine Frau mit einer schlichten,
fleckig-weißen Schürze über einem prachtvollen
grünen Sari reichte mir einen warmen Teller mit
Napfschnecken in Tomatensauce. (Übrigens alles vollkommen
echt. Noch heute läuft mir davon das Wasser im Mund
zusammen.) Ich entschied mich für ein Glas Weißwein.
In der Nähe standen leere Stühle, deshalb setzte ich
mich. Die Frau nahm auf der anderen Tischseite Platz und
unterhielt sich mit mir, während ich aß.
    »Ich habe gerade mit unseren Ehrengästen
gesprochen«, sagte sie mit einem ungewöhnlichen
Akzent. »Wirklich interessante Leute. Eine künstliche
Frau und ein Mann von den Sternen! Gewissermaßen von den
Toten auferstanden.« Sie musterte mich scharf.
»Vielleicht sind Sie ihnen ja schon mal begegnet, da Sie
doch selbst aus dem Weltraum sind?«
    Ich lächelte sie an. »Wieso sieht nur eigentlich
jeder an, woher ich komme?«
    »Das liegt an Ihrer Kleidung, Nachbarin«, meinte
sie. »Gold ist typisch für den Weltraum, hab ich
Recht? Hier ist die Farbe eher selten.«
    »Ja, sicher«, sagte ich. Einen Moment lang hatte
ich gemeint, sie habe erraten, dass ich einen Raumanzug trug.
Nachdem ich sie reden gehört und ihre Gestik und Mimik
beobachtet hatte, war ich mir sicher, dass sie im zweiten
Lebensjahrhundert angelangt war. Sie erwiderte offen meinen
Blick, ihre Augen funkelten wie die Nadeln in ihrer
Turmfrisur.
    »Gold ist ja so nützlich!«, sagte sie.
»Wussten Sie, dass Lenin glaubte, wir würden es einmal
für Urinale verwenden?«
    Ich lachte. »Nicht sein einziger Irrtum!«
    Ihre Erwiderung fiel eine Spur kühler aus als ihre
Eingangsbemerkungen. »Er hat sich nicht oft geirrt, und die
wenigen Male waren das Gegenteil dessen… was ihm für
gewöhnlich vorgehalten wird. Er hielt zu viel von den
Menschen, vom Einzelnen wie von der Masse. Und
außerdem«, fuhr sie selbstgefällig fort,
»halten einige noch immer große Stücke auf ihn.«
    Mittlerweile konnte ich ihren Akzent einordnen. »Die
Menschen in Südafrika?« Dort war man ausgesprochen
konservativ. Es gab dort sogar noch richtige Kommunisten.
    »Aber ja, Nachbarin!« Sie lächelte.
»Und Sie sind von… nein, lassen Sie mich
raten… nicht aus der Erdnähe; nicht von
Lagrange… und Sie sind jedenfalls auch kein Loony und
keine Marsianerin.« Als ich das Glas hob, beobachtete sie
mich stirnrunzelnd; vielleicht erinnerte sie sich daran, wie ich
mich dem Tisch genähert hatte. Sie taxierte meine Reflexe.
»Ja!« Sie klatschte in die Hände. »Sie
sind von Callisto, hab ich Recht? Und das
bedeutet…«
    Sie riss die Augen auf, hob die Brauen.
    »Ja«, sagte ich gelassen. »Die
Cassini-Division. Und es stimmt, ich bin Ihren Gästen
bereits begegnet.« Ich zwinkerte ihr ganz leicht zu und
senkte ein wenig die Finger, als ich über den Tisch nach
einem Stück Brot langte. Die meisten hätten die Geste
nicht einmal bemerkt. Sie aber lächelte verständnisvoll
und wechselte das Thema.
    *
    Die so genannte Cassini-Division… Astronomisch
betrachtet ist diese Cassini-Division, die Cassinische Teilung,
ein dunkles Band zwischen den Ringen des Saturn – in der
astronautischen Terminologie des Heliozäns ist die
Cassini-Division – ursprünglich ein Spitzname –
die Ehrenbezeichnung einer wirklich finsteren Bande, nämlich
einer militärischen Einsatzgruppe im Ring des Jupiter. Sie
wissen Bescheid über den Ring des Jupiter – für
uns aber war er lediglich eine bemerkenswerte Ingenieursleistung,
eine stete Erinnerung an die Macht unserer Feinde. Der
Jupiterring war unser Guantanamo, unsere Berliner Mauer.
(Schlagen Sie’s nach. Irdische Geschichte. Irgendwo sind
die Informationen gespeichert.)
    Die Cassini-Division war die Frontstreitmacht der Solaren
Union, unsere kollektive Faust im Gesicht des Gegners. In unserer
klassenlosen Gesellschaft kam sie einer Elite recht nahe; in
unserer Anarchie war sie beinahe ein Staat; in unserem
Gemeinwesen gab es dort die größten Reichtümer.
Ihre Rekruten wählten sich selbst aus, doch nur wenige
konnten den hohen Anforderungen genügen. Was ihre Feuerkraft
betraf, hätte die Division sämtliche Staaten, die
jemals existiert hatten, dem Erdboden gleichmachen können,
und hätte
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