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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division
Autoren: Ken MacLeod
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entscheiden.
    Das wollte ich nicht.
    Wie aus weiter Ferne beobachtete ich, wie Yeng die Schlepptaue
löste, wie Andrea uns in eine stabile Position in einigen
Meilen Entfernung vom Wurmlochtor beförderte, und wie Jaime
das Tor mithilfe der Positionsdüsen in den richtigen Winkel
zu der sich nähernden Kometenkarawane brachte.
    »Das war’s«, sagte Jaime. »Hat gerade
noch geklappt, die Drohnen haben fast keinen Treibstoff
mehr.«
    »Noch drei Minuten«, sagte Andrea.
    Die Kometen näherten sich auch jetzt, in diesem letzten
Moment, so rasch, dass sie mit dem Bugteleskop noch immer nicht
zu sehen waren. Selbst wenn man das von ihnen reflektierte Licht
aufgefangen hätte, wäre ihre Eigenbewegung vor dem
Hintergrund der Sterne erst in den letzten Sekunden vor vor dem
Abfangen feststellbar gewesen. Allein das Fernradar dokumentierte
ihre Annäherung. Ich lag reglos da und schaltete mit den
Fingerspitzen von einer Außenansicht zur nächsten: Die
Sonne dieses Systems – klein im Vergleich zu der Sonne, wie
man sie von der Erde aus sah, aber groß und blendend hell
für meine an die Umgebung von Callisto gewöhnten Augen;
die ferne, ockerfarbene Scheibe des Neuen Mars; und die paradoxe
Ellipse des Tores.
    »Noch zwei Minuten.«
    Andrea zählte die letzte Minute ab. Als sie
»Zwei!« sagte, nahm ich auf einem meiner Bildschirme
vor dem Hintergrund der Sterne eine Bewegung wahr: der erste
Komet, fast fürs bloße Auge erkennbar.
    »Eins!«
    »Jetzt!«
    Die Tscherenkow-Strahlung blendete uns.
    Die übrigen Fragmente folgten mit jeweils kaum einer
Sekunde Abstand. Zehn Kometen, jeder mit einer Masse von mehreren
hunderttausend Tonnen. Vier passierten das Tor und fügten
ihre Masse unserer Seite hinzu – während sie auf der
anderen Seite abgezogen wurde.
    »Ich glaube, der Bereich negativer Masse ist jetzt
erreicht«, sagte Malley. »Ich wünschte, ich
könnte sehen, wie sich das auswirkt.«
    Wir befanden uns in freiem Fall, blieben aber alle auf den
Liegen angeschnallt, zu erschöpft, um uns zu bewegen, und
vielleicht auch zu ängstlich dafür. Uns blieb nichts
anderes übrig, als zu warten und den Vorgang zu beobachten,
mit dem wir eine Welt zu vernichten gedachten. Ich wusste –
jetzt, da ich selbst ein in intelligenter Materie laufendes
kopiertes Bewusstsein war –, dass die Jupiteraner keine
Flatliner waren, sondern eine überlegene Spezies, nicht
aufgrund ihrer Macht, sondern aufgrund der Komplexität ihres
Bewusstseins. Wie wir verfügten auch sie in ihrem Innern
über einen unendlichen Raum und subjektive Welten; sie waren
nicht bloß Wesenheiten, sondern Lebewesen.
    Und in diesem Moment – nein, in einem anderen Moment,
zehntausend Jahre in der Vergangenheit – rasten unsere
ersten Kometenbomben auf sie nieder und zerstörten diese
subjektiven Welten: unsere primitiven Geschosse zerschmetterten
dünnere Schädel und komplexere Bewusstseine als die
unseren. Das hieß, wenn wir unser Ziel denn erreicht
hatten.
    Dann wurde mir bewusst, dass das, was wir im Moment taten,
bereits geschehen war, dass die Interaktionen des Tors und
der Kometenfragmente Folgen für die ferne Vergangenheit
hatten – dass die Schlacht in gewisser Hinsicht bereits
geschlagen war. Das Universum im Umkreis von zehntausend
Lichtjahren wurde bereits von unseren oder von ihren Nachfahren
besiedelt. Natürlich konnten wir nicht wissen, ob sie oder
wieder wir ›bereits‹ Raumschiffe mit
Malley-Antrieben besaßen, die an die Lichtgeschwindigkeit
herankamen und neue Wurmlochtore nachschleppten, aber falls
›sie‹ tatsächlich über den Neuen Mars
hinausgedrungen waren, würden sie erst in unserer fernen
Zukunft hier eintreffen. Von diesem Gedanken ging eine
merkwürdige fatalistische Beruhigung aus, dann verhedderte
er sich zu einem Knoten, den nur Malley, wenn überhaupt,
hätte aufdröseln können.
    Ich lag da und wartete. Komme, was da wolle.
    Das Tor war noch immer offen, raste noch immer auf der
Umlaufbahn der anderen sich nähernden Kometen dahin, bereit,
den nächsten Schwarm abzufangen – was eine halbe
Stunde später auch geschah. Diese Kometen waren
größer, weniger geformt, aber noch immer klein genug,
um hindurchzupassen. Dies galt auch für den nächsten
Schwarm und für den übernächsten, bis das Wurmloch
schließlich, zehn Stunden und zahllose Kometenfragmente
später, das Limit seiner Kapazität zur
Aufrechterhaltung einer negativen Masse
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