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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division
Autoren: Ken MacLeod
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Ehrfurcht gebietende Kugel
der Fünfzig-Megatonnen-Atomexplosion… jedoch nicht
über die Kamera.
    Ich schwöre, wir sahen sie durch die Schiffshülle
hindurch.
    *
    Die weißen Nachbilder verblassten allmählich, und
ein rotes, schmerzhaftes Pulsieren nahm seine Stelle ein. Ich
atmete nicht mehr – das erledigte der Anzug für mich
–, und die hauchdünnen Röhrchen der
Sauerstoffversorgung hatten sich in glühheiße Messer
verwandelt, die sich durch meine nahezu kollabierte Lunge
bohrten.
    Sind auf Kurs für den Endspurt, erschien Andreas
Meldung in grünen Buchstaben auf dem wabernden
scharlachroten Bildschirm in meinem Gesichtsfeld. Freier Fall
in 20 Minuten, erster Aufprall in weiteren 20.
    Kannst du nicht schneller fliegen?, fragte Boris.
    Kein Treibstoff mehr, antwortete Andrea.
    Keine Reaktionsmasse mehr, um genau zu sein. Niemand hatte
noch Fragen. Ich hoffte, dass Andrea zumindest eine Reserve
zurückbehalten hatte, um uns wieder nach Hause zu
befördern, wo immer sich dieses Zuhause jetzt befinden
mochte, doch es mangelte mir am Mut und an der Kraft, danach zu
fragen.
    Jahne ließ die Daten über den von uns angepeilten
Kometenzug anzeigen: eine lange, gut bestückte Karawane von
Fragmenten, vor langer Zeit von den Robotermaschinen der
Neumarsianer – oder, Ironie des Schicksals, von denen der
Außenweltler – säuberlich aufgereiht, weit
draußen in der gewaltigen Wolke aus unverfestigtem Eis und
organischen Stoffen: riesige fliegende Eisberge, in situ von der infiltrierten intelligenten Materie hergestellt. Diese
Geschosse sollten vor dem Sturz auf den Neuen Mars explodieren,
in kleinere Brocken auseinander brechen und in der
Atmosphäre schmelzen und verdunsten.
    Irgend etwas bereitete mir Sorge, etwas, das ich
übersehen hatte. Während ich zusammengequetscht auf der
Beschleunigungsliege ruhte, bemühte ich mich, den
flüchtigen Gedanken zu fassen, und auf einmal hatte ich ihn:
Was wäre, wenn die Brocken explodierten, bevor sie auf dem
Jupiter auftrafen? Diesen Einwand tat ich jedoch als unerheblich
ab – die Nanomaschinen auf den Kometenfragmenten
würden einen Gasriesen wohl kaum mit einem kleinen,
steinigen Planeten verwechseln.
    Außerdem konnten wir das Ganze eh nicht mehr
beeinflussen. Dies war buchstäblich der letzte Pfeil in
unserem Köcher.
    *
    Unvermittelt ließ der Andruck nach. Wir atmeten ein und
stießen beim Ausatmen ein Schmerzgeheul aus, dann leitete
der Anzug Opiate in unser Blut, die so dosiert waren, dass sie
den Schmerz betäubten, ohne uns zu euphorisieren. Nicht dass
die Gefahr groß gewesen wäre.
    »Okay«, sagte Andrea mit zittriger Stimme.
»Wir haben zwanzig Minuten Zeit, dieses Ding auszurichten.
Bleibt angeschnallt.«
    Eine unnötige Anweisung, dachte ich, während ich
mich bemühte, die Finger zu bewegen und die Monitore
aufzurufen. Nach etwa einer Minute gelang es mir. Diesmal zogen
sich die Injektionskanülen des Anzugs nicht zurück; sie
hatten noch Arbeit zu verrichten, so wie alle anderen – die
ersten Monitore zeigten physiologische Werte an. Alle waren am
Leben, bei Bewusstsein, und wurden massiv unterstützt und
regeneriert.
    Ich nicht.
    Ich starrte entsetzt auf die Bildschirme und konnte kaum
glauben, dass ich nicht mit meinen Augen, meinen Nerven, meinem
Gehirn sah. Mein Gehirn hatte nicht vollständig
abgeschaltet: es hielt noch meinen Körper am Laufen; doch
der Preis, der Dee zufolge für die Aufrechterhaltung des
Bewusstseins und des Ichs bezahlt werden musste, wurde anderswo
entrichtet. Der Anzug hatte mein Bewusstsein in sich
abgeschlossen und ließ mich als Update des Modells laufen,
das er vor einigen Tagen vor dem Start der ersten Jupitersonde
angelegt hatte.
    Jetzt wusste ich also Bescheid. Ich wusste, wie ein
simuliertes Bewusstsein die Welt wahrnahm. Es gab überhaupt
keinen Unterschied.
    Zumindest keinen, den mein simuliertes Bewusstsein wahrnehmen
konnte.
    Warum hatte der Anzug das getan? Warum hatte er mir das
angetan?
    Unvermittelt stellte ich einen Unterschied in der Wahrnehmung
fest. Ich war mir der Anwesenheit des Anzugs, seines
Eigenbewusstseins, als eines loyalen, lebendigen Wesens bewusst;
und ich kannte die Antwort.
    Es geht nicht nur um dich, antwortete er. Es ist
noch eine weitere Person anwesend. Du trägst einen
Fötus in dir. Ich habe aufgrund deiner vermuteten
Präferenzen gehandelt. Die Entscheidung liegt bei dir. Du
kannst dich jederzeit anders
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