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Die Brüder Löwenherz

Die Brüder Löwenherz

Titel: Die Brüder Löwenherz
Autoren: Astrid Lindgren
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zuvor hatte ich so viele Sterne gesehen und nie so strahlende. Ich versuchte zu erraten, welcher Stern unsere Erde war. Aber Jonathan sagte:
    »Der Erdenstern, der wandert irgendwo weit, weit draußen im Weltenraum, den kannst du von hier aus nicht sehen.«
    Das war fast ein wenig traurig, fand ich. 

5
    Doch dann kam der Tag, an dem auch ich erfuhr, was an Sophia so Besonders war. Eines Morgens sagte Jonathan: »heute schauen wir mal bei der Taubenkönigin rein.«

    »Das klingt gut«, sagte ich.
    »Wer ist denn diese Königin?«
    »Sophia«, antwortete Jonathan. »Taubenkönigin nenne ich sie nur im Scherz.«
    Weshalb, sollte ich bald erfahren. Zum Tulipahof, wo Sophia wohnte, war es ein gutes Stück. Ihr Haus lag am Ende des Tals, unmittelbar vor den hohen Bergen. Wir kamen in der Morgenfrühe dort angeritten. Sophia fütterte gerade ihre Tauben. All ihre schneeweißen Tauben! Und da mußte ich an jene weiße Taube denken, die einmal auf meinem Fensterblech gesessen hatte, es mochte wohl tausend Jahre her sein.
    »Weißt du noch?« flüsterte ich Jonathan zu.
    »War es nicht eine von diesen Tauben, die dir ihr Federkleid geliehen hat - damals, als du bei mir warst?«
    »Ja«, sagte Jonathan.
    »Wie hätte ich sonst zu dir kommen können? Nur Sophias Tauben können durch die Himmel fliegen, in jede Ferne.«
    Die Tauben umgaben Sophia wie eine weiße Wolke, ganz still stand sie dort inmitten der flatternden Flügel. Genauso sieht wohl eine Taubenkönigin aus, dachte ich. Erst jetzt erblickte Sophia uns. Sie begrüßte uns freundlich, wie sie es immer tat, doch froh war sie nicht. Richtig traurig war sie, und sie sagte sofort leise zu Jonathan:
    »Gestern abend fand ich Violanta tot mit einem Pfeil in der Brust. Oben in der Wolfsschlucht. Und die Botschaft war fort.«
    Jonathans Augen wurden dunkel. Nie hatte ich ihn so gesehen, noch nie so verbittert. Ich erkannte ihn kaum wieder, auch seine Stimme nicht.
    »Dann ist es so, wie ich vermutet habe«, sagte er. »Wir haben einen Verräter im Kirschtal.«
    »Ja, so muß es wohl sein«, sagte Sophia.
    »Ich habe es bisher nicht glauben wollen. Aber jetzt sehe ich ein, daß es nicht anders sein kann.«
    Ihr war anzumerken, wie traurig sie war, und doch wandte sie sich mir zu und sagte:
    »Komm, Karl, ich will dir wenigstens zeigen, wie es bei mir aussieht.«
    Sie lebte auf dem Tulipahof allein mit ihren Tauben und ihren Bienen und ihren Ziegen und einem Garten so voller Blumen, daß man kaum hindurchkommen konnte. Während Sophia mich herumführte, machte Jonathan sich daran, zu graben und Unkraut zu jäten, wie man es im Frühling in Gärten eben tun muß. Ich schaute mir alles an, Sophias viele Bienenkörbe, ihre Tulpen und Narzissen und ihre neugierigen Ziegen. Aber die ganze Zeit über mußte ich an diese Violanta denken, wer immer sie auch sein mochte, die oben in den Bergen erschossen worden war. Wir kehrten bald wieder zu Jonathan zurück. Er kniete dort und jätete, und er hatte schon ganz schwarze Finger bekommen. Sophia sah ihn bekümmert an und sagte:
    »Hör mal, mein kleiner Gärtnerbursche, ich glaube, du mußt dich bald an eine andere Arbeit machen.«
    »Ich verstehe«, sagte Jonathan. 

    Die arme Sophia, sie war wohl sehr beunruhigt, mehr als sie sich anmerken lassen wollte. Forschend blickte sie zu den Bergen hinauf und sah dabei so besorgt aus, daß auch ich unruhig wurde. Wonach spähte sie aus? Auf wen wartete sie? Ich sollte es bald erfahren. Denn plötzlich sagte Sophia:
    »Dort kommt sie! Gott sei Dank, da ist Paloma!«
    Eine ihrer Tauben kam angeflogen. Anfangs sah man sie nur als kleinen Punkt oben im Gebirge, doch bald war sie bei uns, und sie landete auf Sophias Schulter.
    »Komm, Jonathan!« rief Sophia ungeduldig.
    »Ja, aber Krümel ich meine Karl«, sagte Jonathan.
    »Er muß wohl jetzt alles erfahren, nicht?«
    »Gewiß«, antwortete Sophia. »Beeilt euch und kommt mit, ihr beide!«
    Mit der Taube auf der Schulter lief Sophia vor uns ins Haus. Sie führte uns in eine kleine Kammer neben der Küche, und dort verriegelte sie die Tür und schloß die Fensterläden. Sie wollte wohl ganz sicher sein, daß niemand hören und sehen konnte, was wir taten.
    »Paloma, meine Taube«, sagte Sophia. »Bringst du uns heute bessere Botschaft als beim letztenmal?«
    Sie steckte die Hand unter einen Flügel und zog eine kleine Kapsel hervor. Daraus nahm sie einen zusammengerollten Zettel, genau so einen, wie ihn Jonathan damals aus dem Korb
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