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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Autoren: Richard Dübell
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breit genug, dass man nicht wirklich darüber hinweg- und ins Innere des Wagenkastens blicken konnte, wenn er so wie jetzt auf der Seite lag. Eine Bahn der Plane, mit der der Wind spielte, wehte über den Rand des senkrecht stehenden Wagenbodens, winkte ihnen, näher zu kommen.
    »Das ist der Grund, warum der Wagen noch hier ist«, sagte Niccolò und deutete auf die gebrochene Vorderachse. Sie war lenkbar und hatte vermutlich nachgegeben, als der Kutscher zu fliehen versucht hatte. Lorenzo ging nicht davon aus, dass der Anführer des Trecks so unvorsichtig gewesen war, die Zugpferde auszuspannen. Die Ketten und Lederbänder, die die Tiere an der Deichsel gehalten hatten, pendelten träge herab. Eine der Ketten, die den Wagenkasten mit dem Fahrwerk verbunden hatten, war aus der Halterung gerutscht; sie schwang ebenfalls lose und klopfte von Zeit zu Zeit leise an die Unterseite des Wagens. Niccolò richtete sich auf und zögerte, um den Wagen herumzugehen. »Also haben sie nur die Pferde mitgenommen. Und den Trosswagen.« Er warf Lorenzo einen Blick zu.
    »Nach dir«, sagte Lorenzo und wies mit einer scheinbar höflichen Geste um den Wagen herum.
    Niccolò straffte sich und kletterte über die Deichsel. Lorenzo folgte ihm auf dem bequemeren Weg außen herum. Niccolò starrte den umgekippten Wagen an. Die Plane war an den Rippen festgehakt und nur dort über dem Innenraum zusammengefallen, wo die Rippen zerborsten waren. An den Stellen, an denen man ins Innere blicken konnte, waren weitere Kissen zu sehen und der blanke Boden des Wagenkastens. Etwas hatte den Boden an einer Stelle nass und dunkel gefärbt. Niccolò sah sich zu Lorenzo um und dann zu den anderen, die bei der Deichsel warteten, als hätte ihre Auseinandersetzung ausschließlich ihnen beiden das Recht verliehen, den Wagen zu untersuchen. Mit einem kleinen Winseln zog Niccolò die Plane beiseite. Der Wagen war bis auf die verstreuten Kissen leer.
    Lorenzo fuhr mit dem Finger über die feuchte Stelle und schnupperte. »Wein«, erklärte er. Dann atmete er langsam aus. Er hatte nicht angenommen, dass sie im Wageninneren die Leiche von Clarice Tintori finden würden. Wenn überhaupt, würde sie im Wald sein … wenn überhaupt. Die Angreifer hatten nur das mitgenommen, was sich leicht transportieren ließ: Decken, aber nicht die Kissen; den unversehrten Trosswagen, aber nicht den ungleich wertvolleren, defekten Reisewagen. Lorenzo fragte sich, ob der Zweck des Überfalls das Beutemachen gewesen war oder etwas anderes.
    »Sehen wir im Wald nach«, sagte er schließlich. »Niccolò, Pietro, stellt fest, ob die Männer dort jenseits aller Hilfe sind oder ob noch einer lebt – und wie kalt sie sind, damit wir eine Ahnung davon bekommen, wann der Überfall stattgefunden hat. Die anderen kommen mit mir.«
    »Der Überfall geschah in der Nacht, capitano, denkst du nicht?«, sagte Pietro.
    »Sieh dir das Feuer an. Es ist ordentlich gelöscht. Wenn sie nachts überfallen worden wären, hätte es unbeachtet weitergebrannt, bis nur noch Asche übrig gewesen wäre.«
    Pietro stapfte hinüber und trat die halb verkohlten Äste und Holzstücke auseinander. Asche wallte auf und hüllte ihn ein. »Ein bisschen Glut ist noch da. Kann noch nicht allzu lange her sein.«
    »Das ist alles Ihre Schuld, Ghirardi«, erklärte Niccolò. »Ser Bianchi wird Sie zur Rechenschaft ziehen.«
    Ausnahmsweise fühlte Lorenzo sich mit seinem Truppführer einer Meinung. Er schwang sich aufs Pferd und galoppierte die wenigen Hundert Fuß zum Waldsaum hinüber, ohne darauf zu warten, dass sich ihm der Rest seiner Truppe anschloss.
    Das Waldstück erwies sich als niedrig und verfilzt, das Spiel von Sonne und Schatten auf seinem Boden ein Albtraum für jeden, der etwas zu finden versuchte oder immer noch nicht völlig ausschließen konnte, dass Angreifer im Hinterhalt lagen. Es war warm und beinahe stickig unter den Bäumen, der Duft von Harz, Kiefernnadeln und trockenem Laub jenseits der Schwelle, an der er anregend wirkte. Den Landbruch weiter vorn verriet ein heller Streifen Himmel, in den die Wipfel der am Fuß des Abbruchs wachsenden Bäume ragten. Lorenzo hielt seine Männer zurück, als er die unterdrückten Stimmen vernahm, die von unten herauftrieben. Er legte sich auf den Bauch und kroch die restliche Strecke bis zur Kante des Abbruchs, schob seinen Kopf darüber und spähte nach unten. Sie hatten keine Spur von Clarice Tintori gefunden, noch nicht einmal einen Kleiderfetzen, der darauf
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