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Die braune Rose

Die braune Rose

Titel: Die braune Rose
Autoren: Heinz G. Konsalik
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uns doch überlegen. Wir ziehen nach England … wir machen dort – – –«
    Harriet schüttelte den Kopf. Die Worte wehten von Berts Lippen.
    »Nein! Geh … laß mich allein.«
    »Wenn du das tust …« Berts Stimme wurde heiser und hell, »… du weißt, daß ich bei dir bleibe. Auch wenn es Irrsinn ist, aber ich kann nicht weiterleben, wenn du …« Er sprach es nicht aus, er würgte das Wort herunter und taumelte auf Harriet zu. »Ich liebe dich doch … ich liebe dich wie nichts auf der Welt.«
    Harriet senkte den Kopf. Tränen rollten über die zuckenden Wangen; sie wischte sie mit dem Handrücken ab und trocknete die Hände dann an ihrem Rock.
    »Ich liebe nichts mehr, Bert … ich will nur noch Ruhe … Ruhe vor den Menschen. Ich will bei meinem Vater sein.« Ihr Kopf zuckte plötzlich hoch, ihre glänzenden Augen starrten Bert mit wilder Entschlossenheit an. »Bert, ich weiß, daß du eine Pistole bei dir hast.«
    »Harriet –«, stammelte Bert Schumacher.
    »Erschieß mich, Bert!«
    »Nie! Nie!« schrie Bert Schumacher.
    »Dann nehme ich das Rasiermesser.«
    Eine Weile war es nun still zwischen ihnen. Sie standen nebeneinander, stumm, voneinander abgewandt, und sahen jeder in eine andere Richtung. Aber in dieser Stille wurde aus ihrem jugendlichen Drang und ihrem überschäumenden Irrsinn eine reale Methode. Die Grenze der inneren Abwehr war überschritten, der letzte Funken von Vernunft verglüht … übrig blieb eine Leidenschaft, eine Wonne des Sterbens, die seit Goethes ›Werther‹ wie ein Fieber durch die jugendlichen Gehirne jagte. Es war eine Lust der Verbissenheit, die sich zum höchsten Glücksgefühl steigerte. Es war eine glühende Apotheose des Sterbens.
    Als sei es das Selbstverständlichste, was man tun konnte, ging Bert zum Wagen zurück, nahm seine Aktenmappe heraus, schloß den Wagen ab und kehrte zu der Lichtung zurück. Er nahm Papier aus der Mappe, gab Harriet einen Bleistift, und dann saßen sie beide auf den Weidenwurzeln und schrieben ruhig und mit ausgeglichener Schrift romantische Abschiedsworte. Sie baten um Verzeihung und Verständnis, zwei Wünsche, die ihnen keiner erfüllen konnte. Dann verschlossen sie die Umschläge, legten sie an einen Weidenstamm und sahen sich mit glücklichen Augen an.
    »Ich liebe dich«, sagte Bert leise. Er umarmte Harriet und zog sie an sich. »Ich habe von einem so schönen Leben geträumt.«
    Harriet legte ihm den Finger über die Lippen. Ihr Lächeln war schon jenseits, war wie verklärt und rein von aller Erdenschwere.
    »Ruhe –«, sagte sie kaum hörbar. »Gottes schönste Gabe ist die Ruhe.« Sie stand auf und zog Bert mit sich hoch. »Komm – ich bin so glücklich.«
    Bert Schumacher griff in die Tasche und zog seine kleine Pistole hervor. Er lud sie durch und senkte dann wieder die Hand. Hitze und Kälte jagten in schneller Folge durch ihn, vor seinen Augen tanzten die Weiden, der kleine Wiesenplatz, das in der Sonne glänzende Band des Neckars und die am anderen Ufer liegenden flach ansteigenden Hänge, auf denen die Puppen des gemähten Korns aufgestellt waren, in langen, gut ausgerichteten Reihen, wie zur Parade angetretene Soldaten.
    »Bitte«, sagte Harriet leise. »Bitte … Bert … Ich liebe dich so sehr –«
    Mit einem wilden Seufzer hob Bert Schumacher die Pistole. Groß, wie durch ein Vergrößerungsglas, sah er Harriets Gesicht vor sich … lächelnd, süß, umweht von den schwarzen Haaren, mit großen, glänzenden Augen und halb geöffneten, feuchtroten Lippen. Wohin soll ich schießen? schrie es in ihm auf. In dieses Gesicht? Nie! Nie! ich kann doch nicht in diese Augen schießen, nicht in diese Stirn. O Gott, o mein Gott … ich kann doch nicht … ich kann nicht …
    Der Lauf seiner Pistole zitterte und schwankte. Er senkte ihn und zielte auf die Brust Harriets, auf die Herzgegend. Da sah er unter ihrer Bluse die Wölbung ihrer Brüste, sah, wie sie sich im schnellen Atem hoben und senkten. Küssen muß man sie, küssen, aber nicht durchschießen, schrie es in ihm Harriet … o Harriet!
    »Schieß, mein Liebling«, hörte er Harriets Stimme wie aus unendlich weiter Ferne zu sich heranwehen. »Sei nicht feig … es wird nicht weh tun.«
    Bert Schumacher stöhnte auf. Er schloß die Augen, krümmte den Finger durch und drückte ab. Der Schuß war kaum hörbar. Es war nur ein dumpfer, schneller Laut, der sich unter der Weite des Himmels auflöste, als sei nichts gewesen. Nach ihm folgte nichts. Kein Aufschrei, kein
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