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Die Bourne-Identität

Titel: Die Bourne-Identität
Autoren: Robert Ludlum
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saß mit blutunterlaufenen Augen am Heck, die Hände rissig von den Tauen. Er rauchte eine Gauloise und war froh, daß die See so ruhig war. Er sah zu dem offenen Steuerhäuschen hinüber; sein jüngerer Bruder schob den Gashebel vor, um die Fahrt zu beschleunigen, während der einzige andere Angehörige seiner Crew ein paar Meter von ihm entfernt ein Netz prüfte. Sie lachten über irgend etwas, und das war gut so; denn letzte Nacht hatten sie wahrhaftig nichts zu lachen gehabt. Wo war der Sturm bloß hergekommen? Die Wetterberichte aus Marseille hatten ihn nicht angekündigt; sonst wären sie im Schutz der Küste geblieben. Er wollte bis Tagesanbruch die Fischgründe achtzig Kilometer südlich von La Seyne-sur-Mer erreichen, aber nicht um den Preis kostspieliger Reparaturen, und welche Reparaturen waren heutzutage nicht kostspielig?
    Auch nicht um den Preis seines Lebens, und während der vergangenen Nacht hatte es Augenblicke gegeben, wo solche Befürchtungen durchaus gerechtfertigt waren.
    »Du bist müde, nicht wahr?« rief sein Bruder und grinste ihm zu. »Geh jetzt schlafen. Laß mich weitermachen.«
    »Okay«, antwortete der Bruder und warf die Zigarette über Bord. »Ein wenig Schlaf schadet bestimmt nicht.«
    Es war gut, einen Bruder am Steuer zu wissen. Am besten sollte immer einer aus der Familie das Schiff lenken; der paßt wirklich auf. Selbst ein Bruder, der die gewandte Sprache eines Gebildeten sprach, im Gegensatz zu seinen eigenen grobschlächtigen Worten. Verrückt! Ein Jahr auf der Universität - und schon wollte sein Bruder eine Gesellschaft gründen. Mit einem einzigen Boot, das vor vielen Jahren bereits bessere Tage gesehen hatte. Verrückt. Was hatten ihm denn seine gescheiten Bücher letzte Nacht genützt, als seine Compagnie beinahe gekentert wäre?
    Er schloß die Augen und kühlte seine Hände in den Wasserpfützen auf Deck. Das Salz der See würde gut für die Verbrennungen sein, die er sich zugezogen hatte, als er Geräte festzurrte, die im Sturm nicht an ihrem Platz bleiben wollten.
    »Schau! Dort drüben!« Sein Bruder wollte ihm offenbar mit seinen scharfen Augen den Schlaf neiden.
    »Was ist denn?« schrie er.
    »Dort treibt ein Mann im Wasser! Er hält sich an etwas fest. An einer Planke oder etwas Ähnlichem.«
    Der Skipper nahm das Steuer und lenkte das Boot rechts neben die Gestalt im Wasser und drosselte die Motoren, um die Kielwelle zu verringern. Der Mann sah aus, als würde ihn die geringste Erschütterung von dem Stück Holz rutschen lassen, an das er sich klammerte.
    Seine Hände waren weiß. Wie Klauen hatten sich seine Finger um die Planke gelegt; aber aus seinem übrigen Körper war alle Energie gewichen, wie bei einem Ertrunkenen, wie bei jemandem, der von dieser Welt bereits Abschied genommen hat.
    »Macht eine Schlinge in die Taue!« schrie der Skipper seinem Bruder und dem Matrosen zu. »Legt sie um seine Beine. Ganz vorsichtig! Jetzt zieht sie hoch bis zu seinen Hüften. Vorsichtig! hab' ich gesagt.«
    »Seine Hände lassen die Planke nicht los!«
    »Ihr müßt sie öffnen! Vielleicht ist das die Totenstarre.«
    »Nein. Er lebt noch, wie mir scheint. Seine Lippen bewegen sich, doch es kommt kein Ton heraus. Seine Augen auch; aber ich bezweifle, daß er uns sieht.«
    »Die Hände sind frei!«
    »Hebt ihn hoch. Packt seine Schultern und zieht ihn herüber. Vorsichtig!«
    »Mutter Gottes, seht nur seinen Kopf!« schrie der Matrose. »Er ist aufgeplatzt.«
    »Er muß im Sturm gegen die Planke geschlagen sein«, sagte der Bruder.
    »Nein«, widersprach der Skipper und starrte die Wunde an. »Das ist ein sauberer Schnitt, wie von einer Rasierklinge. Eine Kugel hat ihn getroffen; man hat auf ihn geschossen.«
    »Das kannst du nicht sicher sagen.«
    »Er hat noch mehr Schußwunden«, fügte der Skipper hinzu, dessen Augen den Körper absuchten. »Wir fahren zur Ile de Port Noir; das ist die nächste Insel. Dort gibt es einen Arzt.«
    »Den Engländer?«
    »Er wird ihn versorgen.«
    »Wenn er kann«, sagte der Bruder des Skippers, »falls er nicht besoffen ist. Mit den Tieren seiner Patienten hat er jedenfalls mehr Erfolg als mit Kranken.«
    »Das macht nichts. Bis wir da sind, ist der hier ohnehin eine Leiche. Sollte er zufällig doch überleben, stelle ich ihm das zusätzliche Benzin und den Fang, der uns entgeht, in Rechnung. Hol den Sanitätskasten; wir verbinden ihm den Kopf, auch wenn es nichts nützt.«
    »Schau!« rief der Matrose. »Seine Augen!«
    »Was ist mit
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