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Die Blut-Loge

Die Blut-Loge

Titel: Die Blut-Loge
Autoren: Carola Kickers
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vollständig angezogen, hatte hier am Fenster gestanden und auf die Dunkelheit gewartet. Das Tageslicht störte ihn zwar nicht, aber er liebte die Nacht. Er feierte sie, so wie sie ihn feierte!
    Jerome ging zum Bett, und mit gespielter Fürsorge und Zärtlichkeit weckte er die Kleine auf. „Ich muss los“, sagte er mit geheucheltem Bedauern in der Stimme, indem er über den nackten Rücken vor ihm strich und ihn mit zarten Küssen bedeckte. „Leider!“ Da war noch sein undefinierbarer Akzent, der seiner ruhigen Stimme eine gewisse Nonchalance verlieh, auf den die Frauen so flogen.
    Das Mädchen murmelte etwas wie „bitte noch nicht“, aber Jerome kramte bereits ihre Sachen vom Boden und legte sie demonstrativ aufs Bett. Die Brünette drehte sich um und streckte verlangend die Arme nach ihm aus. Dabei verrutschte die Bettdecke und gab den Anblick ihrer wohlgeformten, festen Brüste frei, aber Jerome wich zurück.
    „Beeil dich, in wenigen Stunden beginnt meine Show!“
    Das Mädchen blickte ihn aus halb geschlossenen Lidern an. „Was für eine Show?“, fragte sie neugierig. Jerome hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
    „Das spielt keine Rolle. Komm jetzt. Wenn du möchtest, fahre ich dich in die Stadt.“
    Das Mädchen griff nach ihren Sachen und schälte sich ärgerlich murrend aus den Laken. Der junge Mann blickte an ihrer aufregenden Figur herunter. Ja, sie war schön. Aber das war nicht der Grund dafür, dass er sie mitgenommen hatte. Seine Musterung galt den Spuren, die sie im Nacken und am Halsansatz trug. Ein paar dunkelrote Punkte waren zurückgeblieben, die an Masern erinnerten. Jerome konnte zufrieden sein. Sie hatte lange genug geschlafen, um den Blutverlust zu verkraften. Nach einem guten Essen würde sie sich noch besser fühlen. Nun aber musste er seine frisch gewonnenen Kräfte nutzen. In Gedanken ging er bereits den heutigen Bühnenablauf durch.
     
    Von seinen Kollegen manchmal mit dem spöttischen Spitznamen Romy bedacht, war der junge Mann von knapp über achtzehn Jahren ein mit mädchenhafter Anmut ausgestatteter Jüngling. Ein Typ, der mit fast magischen blauschwarzen Augen in die Seelen seiner Zuschauer blickte, von denen einige fast jeden Abend vor der Bühne saßen und ihn anhimmelten. In seiner Freizeit trug er das Haar oft streng zurück gekämmt zu einem Zopf gebunden, wie man es im 17. Jahrhundert getragen hatte. Das betonte die markanten Wangenknochen in dem bartlosen Gesicht mit den sinnlichen Lippen und gab ihm etwas Aristokratisches. Eine Erscheinungsweise, die zu seinem gebildeten Charakter und den höflichen Umgangsformen passte, von denen jetzt allerdings wenig zu merken war. Er schob seine nun vollständig bekleidete Begleiterin förmlich vor sich her, hinaus aus der Wohnung. Das Mädchen schien sein Drängeln gar nicht zu bemerken. Wie eine Marionette eilte sie vor ihm her die Treppen hinunter.
    Ganz in Schwarz gekleidet betrat Jerome die Tiefgarage. Über dem T-Shirt trug er einen leichten, bodenlangen Sommermantel, der beim Gehen an die schwarzen Flügel eines Racheengels erinnerte. Er betonte zudem seine hochgewachsene Gestalt. Mit großen Schritten näherte er sich dem dunkelblau glänzenden Cabrios, das ihn zum Club Heartbeat am Rande der Reeperbahn bringen würde, wo er heute Abend wieder auftrat – in einer ganz anderen Gestalt. Aber vorher musste er die Kleine noch einer Haltestelle absetzen und dafür sorgen, dass sie ihn vergessen würde – für immer. Beim Bahnhof setzte er das Mädchen ab, nahm zum Abschied ihr schmales Gesicht in beide Hände und blickte ihr tief in die braunen Augen.
    „Wir sind uns nie begegnet. Du wirst jetzt etwas essen, mit dem nächsten Bus nach Hause fahren und dein Leben wie gewohnt weiterführen“, suggerierte er ihr in Gedanken.
    Dann hauchte er einen Kuss auf ihre Lippen und öffnete die Beifahrertür. Das Mädchen stieg aus. Jerome hatte sich nicht einmal ihren Namen gemerkt.
     
    * * *
     
    „Oh, mein Gott, Jerome, was siehst du heute wieder umwerfend aus!“, begeistert klatschte Sid, der Manager der Showtruppe Midnight Fairies, in die Hände. Er war ein drahtiger kleiner Kerl mit strahlend blauen Augen und vollem, aschblonden Haar, der überall herumwuselte und jedem aus der fünfköpfigen Truppe gerne Ratschläge gab. Egal, ob man sie hören wollte oder nicht. Außerdem sah man ihm schon auf die Entfernung an, dass er schwul war.
    „Oh, lass mich raten, wer bist du heute Abend, nein, sag es nicht, sag es
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