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Die Blut-Loge

Die Blut-Loge

Titel: Die Blut-Loge
Autoren: Carola Kickers
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Dann war sie in ihrem silberbestickten Gewand auf ihn zugerauscht, hatte ihn wortlos bei der Hand genommen und in die oberen Stockwerke entführt. In ihrem ebenso reich geschmückten Boudoir lehrte sie dann den jungen Jerome, was es hieß, eine Frau glücklich zu machen. Und dieser war ein gelehriger Schüler. Allerdings verlangte sie einen hohen Preis für ihre Lektionen, denn am Ende einer ausgedehnten Liebesnacht schlug sie ihre Zähne rücksichtslos in seinen Hals und begann, sein Blut zu trinken, ohne, dass er sich gegen sie wehren konnte. Wie gelähmt erlebte er bei vollem Bewusstsein ihr unheilvolles Tun. Kurz bevor das letzte bisschen Leben aus ihm heraus zu rinnen drohte, stellte sie ihm ein Ultimatum: Entweder er würde selbst zum Vampir und ewig leben, oder auf der Stelle sterben. Da fiel ihm die Wahl nicht schwer. Mehrere Monate danach lehrte die schöne Signora ihn außerdem, wie man erfolgreich als Vampir überlebt und möglichst wenig Spuren hinterlässt. Das kam ihm teilweise heute noch zugute.
     
    Im Laufe der Jahrhunderte passte sich Jerome auch an das Tageslicht an. Zunächst ging er nur an wolkenverhangenen und regnerischen Tagen aus dem Haus, später machte ihm auch die Sonne nichts mehr aus. Und er lernte, das Beste aus seinem Dasein zu machen. Durch Zufall fand er heraus, dass er nach dem Genuss jungfräulichen Blutes in der Lage war, seine Gestalt mithilfe seiner mentalen Vorstellungskräfte in jede gewünschte Person zu wandeln. Zunächst erschien ihm diese Kunst wie Magie, die ihm die Türen zu den Theatern der Welt öffnen konnte. Dennoch war er stets darauf bedacht, keine Leichen zu produzieren, das war ihm bislang nur bei seinem ersten Opfer aus Unwissenheit passiert und widerstrebte ihm als Ästhet zutiefst. Er nahm jetzt grundsätzlich nur soviel, wie er für seine Wandlungen benötigte, denn diese mussten immer nur für die wenigen Stunden auf der Bühne ausreichen. Außerdem brauchte er so keinerlei Verfolgung zu befürchten.
     
    Irgendwann hielt es Jerome nicht mehr in Italien, und er reiste quer durch Europa und durch die Zeiten, bis er jetzt und hier bei den Midnight Fairies gelandet war. In kürzester Zeit war es ihm aufgrund seiner Wandlungsfähigkeit gelungen, zum Star der Truppe zu werden. Aber wenn er diesen Status behalten wollte, brauchte er einmal in der Woche dieses seltene, kostbare Blut. In früheren Jahrhunderten war der Tisch für ihn reich gedeckt gewesen, heute jedoch ... In dieser modernen, schnelllebigen Zeit wurde es aber immer schwieriger, unberührtes Blut zu finden. Er dagegen hatte sich wenig verändert. Er war immer noch ein Dieb. Ein ganz besonderer Dieb, denn er stahl das Blut der Jungfrauen aus ihren Adern, bevor diese nach ihrer ersten Liebesnacht erschöpft in seinen Armen schliefen. Aber er nahm niemals zu viel und versiegelte die Wunden sorgfältig durch die heilenden Enzyme, die sich im Speichel eines Vampirs befanden. Ja, die Kreaturen der Nacht waren mit enormen Talenten gesegnet!
     
    Was er brauchte, würden ihm die wenigsten Mädchen freiwillig geben, also musste der junge Künstler das altbewährte Spiel spielen und zunächst ihre Gefühle für ihn wecken. Auch dafür hatte ihn die Natur mit allen guten Gaben versehen. Allerdings waren seine Fähigkeiten nicht gerade „natürlich“, sondern eher „übernatürlich“ zu nennen. Aber wen interessierte das schon, solange er nur zum Ziel kam und wieder für ein Wochenende der Star der Midnight Fairies war? Die bekannte Transvestitenshow war einfach perfekt für seine schauspielerischen Ambitionen.
    Wenn er seinerseits dagegen die Sehnsüchte der jungen Frauen vollständig erfüllte, wurden sie „unbrauchbar“ für ihn. Und das war mehr als ärgerlich, denn dann begann seine Suche nach einem unberührten Opfer von Neuem. Manchmal fragte er sich, wessen Gier wohl stärker war, die seine oder die dieser kleinen, lüsternen Nymphen, die ihr erstes Mal in seinen Armen erleben wollten. Wäre seine Natur ebenfalls menschlich gewesen, so hätte er es bestimmt genossen, aber in seinem Fall war es eine Notwendigkeit. Unreines Blut war für ihn wertlos und stillte höchstens ab und zu seinen Durst als untoter Blutsauger. Aber Jerome wollte mehr sein als nur das – viel mehr! Er wollte die Nummer Eins im Rampenlicht sein!
    Langsam wurde es Zeit, dieses Mädchen loszuwerden, bevor er zu seinem Auftritt in den Club fuhr. Jerome blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr. Er war bereits seit Stunden
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