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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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Unfallwagen vor dem Museumsportal. Passanten flankierten den Eingang. Es gelang Oskar, mit den Unfallmännern ins Haus zu schlüpfen. Schneller fand ich die Treppe hoch als jene, die ja von früheren Unfällen her die Räumlichkeiten des Museums hätten kennen müssen.
    Daß ich nicht lachte, als ich Herbert sah! Er hing der Niobe vorne drauf, hatte das Holz bespringen wollen. Sein Kopf verdeckte ihren Kopf. Seine Arme klammerten ihre erhobenen und verschränkten Arme. Er hatte kein Hemd an. Sauber zusammengelegt fand es sich später auf dem Lederstuhl neben der Tür. Sein Rücken breitete alle Narben aus. Ich las diese Schrift, zählte die Lettern. Es fehlte keine.
    Es ließ sich aber auch nicht der Ansatz einer neuen Zeichnung erkennen.
    Die kurz hinter mir in den Saal stürmenden Unfallmänner hatten Mühe, Herbert von der Niobe zu lösen. Ein kurzes, auf beiden Seiten geschärftes Schiffsbeil hatte sich der Brünstige von der Sicherheitskette gerissen, die eine Scheide der Niobe ins Holz geschlagen, den anderen Keil sich selbst, das Weib erstürmend, ins Fleisch gestoßen. So vollkommen ihm oben die Verbindung gelungen war, unten, wo ihm die Hose offen stand, wo es immer noch steif und ohne Verstand herausragte, hatte er keinen Grund für seinen Anker finden können.
    Als sie die Decke mit der Aufschrift »Städtischer Unfalldienst« über Herbert breiteten, fand Oskar, wie immer wenn ihm etwas verlorenging, zu seiner Trommel zurück. Er schlug das Blech noch mit den Fäusten, als Männer des Museums ihn aus »Marjellchens guter Stube« die Treppe hinunter und schließlich mit einem Polizeiwagen nach Hause führten.
    Auch jetzt, in der Anstalt, da er sich diesen Versuch einer Liebe zwischen Holz und Fleisch zurückruft, muß er mit Fäusten arbeiten, um noch einmal Herbert Truczinskis Rücken wulstig, farbig, das harte und empfindliche, alles vorbedeutende, alles vorwegnehmende, alles an Härte und Empfindlichkeit überbietende Narbenlabyrinth zu durchirren. Einem Blinden gleich liest er die Schrift dieses Rückens.
    Erst jetzt, da sie Herbert von seinem lieblosen Schnitzwerk abgenommen haben, kommt Bruno, mein Pfleger, mit dem verzweifelten Birnenkopf. Behutsam nimmt er meine Fäuste von der Trommel, hängt das Blech an den linken Bettpfosten am Fußende meines Metallbettes und zieht mir die Decke glatt.
    »Aber Herr Matzerath«, ermahnt er mich, »wenn Sie weiterhin so laut trommeln, wird man woanders hören, daß da viel zu laut getrommelt wird. Wollen Sie nicht pausieren oder etwas leiser trommeln?«
    Ja, Bruno, ich will versuchen, ein nächstes, leiseres Kapitel meinem Blech zu diktieren, obgleich gerade jenes Thema nach einem brüllenden, ausgehungerten Orchester schreit.

GLAUBE HOFFNUNG LIEBE
    Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn und konnte ganz wunderschön Trompete blasen. In der vierten Etage unter dem Dach eines Mietshauses wohnte er, hielt sich vier Katzen, deren eine Bismarck hieß, und trank von früh bis spät aus einer Machandelflasche. Das tat er solange, bis das Unglück ihn nüchtern werden ließ.
    Oskar will heute noch nicht so recht an Vorzeichen glauben. Dennoch gab es damals Vorzeichen genug für ein Unglück, das immer größere Stiefel anzog, mit immer größeren Stiefeln größere Schritte machte und das Unglück umherzutragen gedachte. Da starb mein Freund Herbert Truczinski an einer Brustwunde, die ihm ein hölzernes Weib zugefügt hatte. Das Weib starb nicht. Das wurde versiegelt und im Museumskeller, angeblich wegen Restaurationsarbeiten, aufbewahrt. Doch man kann das Unglück nicht einkellern. Mit den Abwässern findet es durch die Kanalisation, es teilt sich den Gasleitungen mit, kommt allen Haushaltungen zu, und niemand, der da sein Suppentöpfchen auf die bläulichen Flammen stellt, ahnt, daß da das Unglück seinen Fraß zum Kochen bringt.
    Als Herbert auf dem Friedhof Langfuhr beerdigt wurde, sah ich Schugger Leo, dessen Bekanntschaft ich auf dem Brenntauer Friedhof gemacht hatte, zum zweitenmal. Uns allen, Mutter Truczinski, Guste, Fritz und Maria Truczinski, der dicken Frau Kater, dem alten Heilandt, der an den Festtagen Fritzens Kaninchen für Mutter Truczinski schlachtete, meinem mutmaßlichen Vater Matzerath, der, großzügig wie er sich geben konnte, die gute Hälfte der Begräbniskosten trug, auch Jan Bronski, der Herbert kaum kannte, der nur gekommen war, um Matzerath, womöglich auch mich auf neutralem Friedhofsboden wiederzusehen — uns allen sagte sabbernd und
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