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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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genauso stark wie der eines Löwen.«
    Oder einer Hyäne, dachte Dengler.»Die Antwort ist einfach«, fuhr Dillmann flüsternd fort.
    Das obere Profil seines Kopfes wurde von dem schwächer werdenden Licht der untergegangenen Sonne nun mit flachen roten Streifen
     gezeichnet, als wäre es bemalt.
    »Das Geld sucht sich Menschen, die für es sprechen können. Menschen, die sich äußerst empfindsam in das Wesen des Geldes hineinversetzen,
     mehr spüren als wissen, was es braucht – die Bankiers.«
    Georg Dengler fröstelte.
    »Wir formulieren, was das Geld uns aufträgt. Der Bankier, wissen Sie, nimmt sich selbst nicht wichtig. Er ist ein Diener,
     ein Diener des Geldes. Je mehr er sich in das Wesen des Geldes einfühlt, desto besser übt er seinen Beruf aus.«
    »Und das Geld befiehlt Ihnen von Zeit zu Zeit einen Mord oder einen Massenmord?«
    Dengler sah, dass Dillmann vor der großen Fensterscheibe tief durchatmete, als würde eine Schaufensterpuppe plötzlich zum
     Leben erwachen. Sein Gesicht lag jedoch nun gänzlich im Dunkeln, nur hin und wieder warf die goldene Brille einen kurzen Reflex
     durch den sich nun verdüsternden Raum.
    »Die Dinge, die Sie hier ansprechen, lieber Herr Dengler, geschahen vor mehr als zwölf Jahren. Das Geld war zu diesem Zeitpunkt
     außer Rand und Band. Der Fetzen Fleisch, der urplötzlich vor seiner Nase lag, war zu groß, zu roh. Es konnte nicht stillhalten.
     Es ging um sehr viel. Historisch einmalig. Das Geld ließ sich nicht mehr im Zaum halten. Ein ganzes Land, unzählige Fabriken
     und Arbeitskräfte, wertvolle Immobilien – stellen Sie sich das nur vor.« Er machte eine kleine Pause, um dann fortzufahren.
    »Normalerweise beherrschen wir dieses Wesen. Wir achten darauf, dass alles den normalen Regeln folgt, dass die Gesetze eingehalten
     werden und so weiter. Schließlich sind wir alle zivilisierte Menschen.«
    Er hüstelte verlegen.»Aber in den Jahren nach 1990 war das Geld nicht mehr unter Kontrolle. Es stand zu viel auf dem Spiel.«
    »Ich sprach von Mord«, sagte Dengler.
    »Lieber Herr Dengler, all diese Zeit liegt jetzt hinter uns. Auch das Geld hat an diesen Fragen kein besonderes Interesse
     mehr. Es hat bereits alles verdaut. Und das meiste ist schon wieder ausgeschieden.«
    »Die deutsche Wiedervereinigung hat nur einen Toten gekostet. Ich habe mich als Kriminalbeamter bemüht, den Mord an Detlef
     Carsten Rohwedder aufzuklären. Es ist mir nicht gelungen. Ich habe den Eindruck, dass ich in diesem Augenblick der Lösung
     des Falles näher bin denn je.«
    »Sie irren sich, mein lieber Herr Dengler. Die damaligen Akteure leben nicht mehr. Was die Bank betrifft ... Sie wissen doch,
     dass ein großer Bankier sein Leben in den Wirren dieser Jahre gelassen hat.«
    Georg Dengler erinnerte sich gut an die Kommission im BKA, die das Sprengstoffattentat auf einen Banker untersuchte und mit
     den gleichen Problemen kämpfte wie seine Truppe.
    Dillmann fuhr fort. »Erst seit ein paar Jahren spreche ich für diese Bank. Aus der damaligen Zeit lebt niemand mehr. Es gibt
     keine Schuldigen. Diese Schlacht ist geschlagen. Wir füttern das Wesen nun mit anderen Dingen. Und seien Sie froh, dass wir
     es füttern.«
    Dengler kam sich plötzlich lächerlich vor mit der Pistole unter dem Arm und dem Messer am Bein.
    »Es war eine Phase zugespitzter Geschäftstätigkeit«, sagte Dillmann, der sich jetzt kaum mehr von der dunklen Scheibe abhob.
    Dengler lachte bitter.
    »Auf mich wurde vor zwei Tagen geschossen. War das auch >zugespitzte Geschäftstätigkeit    »Ich habe davon gehört. Sicherlich kein sehr angenehmes Erlebnis. Herr Dengler, die Bank wird tun, was sie kann,damit Sie diese Erfahrung nicht wiederholen müssen. Aber wir wollen nicht, dass diese alten, erledigten Akten wieder aus dem
     Archiv geholt werden. Verstehen Sie, was ich Ihnen vorschlage?«
    Mit dir mache ich keine Geschäfte, dachte Dengler, dem die Übelkeit vom Magen durch die Speiseröhre aufstieg. Er dachte an
     Christiane.
    »Ich möchte, dass Paul Stein nichts geschieht«, hörte er sich sagen.
    »Und Sie garantieren, dass diese alten Geschichten dort bleiben, wo sie sind?«
    »Solange Stein nichts geschieht.«
    »Gut. So soll es sein.«
    Der Bankier federte sich von der Glasscheibe ab und durchquerte den Raum, öffnete die Tür und sagte zu den draußen Wartenden:
     »Ich habe Herrn Dengler ein Privatissime in Geldtheorie gegeben. Ansonsten sind wir uns einig geworden.«
    Dann fiel die Tür zu und
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