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Die Biene Maja

Die Biene Maja

Titel: Die Biene Maja
Autoren: Waldemar Bonsels
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Mordgelüste, die wohl ewig unaufgeklärt bleiben. Es mag Ihnen unglaublich erscheinen, aber in der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen sogenannte Knabenmenschen Libellen gefangen haben und ihnen aus purem Vergnügen die Flügel oder die Beine ausgerissen haben. Sie zweifeln?«
    »Natürlich zweifle ich daran«, rief Maja entrüstet.
    Schnuck zuckte die glitzernden Achseln, ihr Gesicht sah ganz alt aus vor Erkenntnis.
    »Ach, wenn man einmal offen sein dürfte,« sagte sie, ganz blaß vor Traurigkeit, »ich hatte einen Bruder, er berechtigte zu den besten Hoffnungen, nur war er etwas leichtsinnig und leider sehr neugierig. Er fiel in die Hände eines Knaben, der ihm unversehens ein Netz überwarf, das an einer langen Stange befestigt war. Sagen Sie selbst, wer denkt an so was?«
    »Nein,« antwortete die kleine Maja, »an so etwas habe ich niemals gedacht.«
    Die Libelle sah sie an.
    »Es ist ihm dann ein schwarzes Seil um die Brust gebunden worden, mitten zwischen seinen Flügeln, so daß er wohl auffliegen, aber niemals entrinnen konnte. Jedesmal, wenn mein armer Bruder glaubte, seine Freiheit zurückgewonnen zu haben, sah er sich auf die grausamste Weise an jenem bereits erwähnten Seil wieder in das Bereich des Knaben zurückgezerrt.«
    Maja schüttelte nur den Kopf.
    »Man darf es sich gar nicht vorstellen«, flüsterte sie traurig.
    »Wenn ich einmal einen Tag nicht daran gedacht habe, so träume ich sicher davon«, fuhr Schnuck fort. »Es kam damals sehr viel zusammen. Schließlich starb mein Bruder.« Schnuck seufzte tief auf.
    »Woran starb er?« fragte Maja in aufrichtiger Teilnahme.
    Schnuck konnte nicht gleich antworten, große Tränen brachen aus ihren Augen und liefen langsam über die Wangen:
    »Er ist in die Tasche gesteckt worden,« schluchzte sie, »das hält niemand aus ...«
    »Was ist das?« fragte Maja ängstlich, die kaum in der Lage war, so viel Neues und Böses auf einmal zu verstehn und zu bewältigen.
    »Die Tasche«, erklärte ihr Schnuck, »ist eine Vorratskammer, die die Menschen in ihrem äußeren Fell haben. Aber was glauben Sie, das sonst noch darin war? O, in welch furchtbarer Gesellschaft mußte mein armer Bruder seine letzten Atemzüge tun. Sie werden niemals darauf kommen!«
    »Nein,« sagte Maja mit bebendem Atem, »ich werde es nicht ... vielleicht Honig?«
    »Nein, nein«, meinte Schnuck, sehr wichtig und sehr traurig zugleich. »Honig werden Sie selten in den Taschen der Menschen finden. Ich will Ihnen sagen, was darin war: es war ein Frosch, ein Taschenschwert und eine gelbe Rübe. Nun?«
    »Schaurig,« flüsterte Maja, »was ist ein Taschenschwert?«
    »Es ist gewissermaßen der künstliche Stachel des Menschen. Da ihm die Natur diese Waffe versagt hat, sucht er sie nachzubilden. Der Frosch war gottlob bereits im Begriff, das Zeitliche zu segnen. Er hatte ein Auge verloren, ein Bein gebrochen und sein Unterkiefer war ausgerenkt. Aber sobald mein Bruder in der Tasche erschien, zischte der Frosch aus seinem schiefen Maul:
    'Wenn ich genesen bin, werde ich Sie unverzüglich verschlingen.' Dabei schielte er mit dem übriggebliebenen Auge auf den bedauernswerten Ankömmling. Dieser Blick muß in der Dämmerung des Gefängnisses auf das furchtbarste gewirkt haben. Mein Bruder hat die Besinnung verloren, als er gleich darauf durch eine unerwartete Erschütterung so gegen den Frosch gepreßt wurde, daß seine Flügel an dem kalten nassen Leib des Sterbenden kleben blieben. O, man kann keine Worte finden, um dies Elend in der treffendsten Weise zu kennzeichnen.«
    »Woher wissen Sie das alles?« stotterte Maja aufs äußerste entsetzt.
    »Später warf der Knabe meinen Bruder und den Frosch fort, als er Hunger bekam und die Rübe suchte, um sie zu verzehren. Ich fand sie nebeneinander im Gras liegen, angelockt durch die Hilferufe meines Bruders. Aber ich kam nur noch zeitig genug, um alles zu hören und ihm die Augen zuzudrücken. Er legte seinen Arm um meinen Hals und küßte mich zum Abschied. Dann starb er tapfer und ohne Klage, als ein kleiner Held. Als das letzte Beben seiner zerknitterten Flügel aufgehört hatte, legte ich Eichblätter über ihn und suchte ein erblühtes Männertreu, dessen blaue Blume zu seiner Ehre auf dem Hügel verwelken sollte. 'Leb wohl,' rief ich, 'schlaf gut, mein kleiner Bruder', und flog in den stillen Abend hinaus, den beiden roten Sonnen entgegen, denn man sah die Sonne zweimal, am Abendhimmel und im See. So traurig und feierlich ist noch
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