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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Autoren: Veronica Roth
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wohl ist? Und Christina?
    » Wir haben jetzt keine Zeit, um über moralische Grundsätze zu streiten«, wehre ich ab.
    » Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür«, erwidert er, » denn bald wirst du wieder auf jemanden schießen müssen, und wenn du nicht begreifst…«
    » Was soll ich begreifen?«, frage ich, ohne mich umzudrehen. » Dass in jeder Sekunde, die wir verschwenden, noch ein Altruan stirbt und noch ein Ferox zum Mörder wird? Das habe ich begriffen. Jetzt bist du an der Reihe.«
    » Es gibt einen rechten Weg, den man nicht verlassen darf.«
    » Und woher weißt du so sicher, dass du diesen rechten Weg kennst?«, frage ich zurück.
    » Hört auf, euch zu streiten«, unterbricht uns Caleb vorwurfsvoll. » Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.«
    Ich steige weiter nach oben. Meine Wangen glühen. Vor ein paar Monaten noch hätte ich es nie gewagt, in einem solchen Ton mit meinem Vater zu sprechen. Vielleicht sogar vor ein paar Stunden noch nicht. Aber als sie meine Mutter erschossen haben, hat sich etwas in mir verändert. Und als sie Tobias mitnahmen.
    Ich höre über das Tosen des Wassers hinweg, wie mein Vater schnauft und keucht. Ich habe vergessen, dass er älter ist als ich, dass sein Gewicht ihm zu schaffen macht.
    Am Fuße der Metallleiter, die zur Glasdecke hinaufführt, halte ich inne und beobachte das Licht, das die Sonne auf die Wände wirft. Ich warte, bis ein Schatten über die Wand huscht, und zähle, bis der nächste Schatten erscheint. Die Wachen drehen alle eineinhalb Minuten ihre Runden, dann bleiben sie zwanzig Sekunden lang stehen, ehe sie weitergehen.
    » Dort oben sind bewaffnete Männer. Wenn sie mich sehen, werden sie mich töten«, sage ich leise zu meinem Vater und blicke ihm fest in die Augen. » Soll ich sie gewähren lassen?«
    Er starrt mich ein paar Sekunden lang an.
    » Geh«, sagt er dann. » Und Gott sei mit dir.«
    Ich steige vorsichtig die Leiter hoch und verharre geduckt auf der letzten Stufe. Ich beobachte, wie sich die Schatten bewegen, und als einer von ihnen stehen bleibt, strecke ich den Kopf heraus, ziele und schieße.
    Doch ich treffe den Wachmann nicht. Die Kugel zerschmettert die Glasscheibe hinter ihm. Ich schieße wieder und gehe in Deckung, als die Geschosse um mich herum mit einem scharfen Pling einschlagen. Zum Glück ist die Glasscheibe kugelsicher, sonst würde sie brechen und mich in den Tod reißen.
    Eine Wache ist bereits außer Gefecht. Ich atme tief durch, klammere mich mit der Hand an die Glasdecke und richte meine Aufmerksamkeit auf mein nächstes Ziel. Ich reiße die Waffe hoch und lege auf den Wachmann an, der angerannt kommt. Die Kugel trifft ihn in den Arm. Es ist der Arm, mit dem er die Waffe hält; er lässt sie fallen und sie schlittert über den Boden.
    Ich zittere wie Espenlaub, als ich durch das Loch in der Decke steige und mir die Waffe schnappe, ehe der Mann sie wieder zu fassen kriegt. Eine Kugel zischt an meinem Kopf vorbei, so dicht, dass sich meine Haare bewegen. Ich ducke mich, reiße mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Arm herum und feuere dreimal hinter mich. Wie durch ein Wunder trifft ein Schuss den Wachmann. Meine Augen tränen, weil die Schulter so höllisch wehtut. Jede Wette, dass ich mir gerade die Nähte aufgerissen habe.
    Vor mir taucht ein weiterer Wachmann auf. Ich ziele, die Arme auf den Boden gestützt, mit beiden Pistolen auf ihn.
    Ich starre in die Mündung einer Machinenpistole.
    Dann geschieht etwas Überraschendes. Er macht mir mit dem Kopf ein Zeichen. Ich soll gehen.
    Er ist ein Unbestimmter.
    » Alles klar!«, sage ich knapp.
    Er zieht sich in den Raum mit den Angstlandschaften zurück und ist verschwunden.
    Den rechten Arm an die Brust gepresst, stehe ich auf. Ich habe eine Art Tunnelblick, ich mache weiter und weiter und weiter, ich werde nicht anhalten, werde an nichts anderes denken können, bis ich an meinem Ziel angekommen bin.
    Ich drücke Caleb eine Waffe in die Hand und klemme mir die andere unter den Gürtel.
    » Du und Marcus, ihr beide solltet hier bei ihm bleiben«, sage ich und deute mit dem Kopf auf Peter. » Er wird uns nur im Weg sein. Passt auf, dass uns niemand folgt.«
    Ich hoffe, Caleb merkt nicht, was ich vorhabe. Ich will, dass er hier in Sicherheit bleibt, auch wenn er für unsere Sache sein Leben geben würde. Wenn ich nach oben ins siebte Stockwerk fahre, komme ich wahrscheinlich nicht mehr zurück. Wenn ich Glück habe, schaffe ich es, die Simulationscomputer zu
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