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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Lord
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Läden. In dem großen Raum fand ein Kampf statt. Dllenahkh versuchte seinen Schüler zu bändigen, ohne ihn zu verletzen, aber der war außer Rand und Band und wollte Blut sehen. Die anderen standen unschlüssig daneben und bemühten sich allenfalls, sich selbst und das Mobiliar in Sicherheit zu bringen. Ansonsten schauten sie ängstlich zu und warteten, dass ihnen jemand sagte, was sie tun sollten.
    Ich wollte unwillkürlich zum Eingang laufen, aber Freyda hielt mich zurück. »Bist du wahnsinnig?«, fragte sie. »Du kannst da nicht rein!«
    Sie hatte recht. Dllenahkh duckte sich unter einem Schlag weg. Die Faust seines Gegners prallte gegen die Wand und hinterließ einen Sprung in der Vertäfelung. Dllenahkh packte den Jungen mit festem Griff, eine schnelle Drehung, ein dumpfer Schlag, dann lag er auf dem Boden. Zwei Schüler warfen sich rasch auf ihn und hielten ihn nieder, während Dllenahkh eine Hand auf seine Stirn und die andere um seinen Hals legte und mit Bedacht genau so lange zudrückte, bis er das Bewusstsein verlor.
    »Bringt ihn ins Haupthaus«, befahl er. Er war nicht einmal außer Atem. »Der Unterricht ist für heute beendet.«
    Dann wandte er sich dem zerbrochenen Fenster zu und entdeckte uns. Seine Augen wurden groß. »Bist du verletzt?«
    »Nein«, sagte ich und wischte mir einen winzigen Blutspritzer vom Handgelenk. Er sah es und runzelte die Stirn.
    »Uns ist wirklich nichts passiert«, beteuerte Freyda. »Kümmern Sie sich … worum Sie sich eben kümmern müssen. Wir schaffen hier Ordnung.«
    Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch er nickte nur und folgte seinen Schülern mit immer noch finsterer Miene nach draußen. Freyda sah mich an, und ihre Miene veränderte sich. »Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?«
    Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte. Bisher hatte ich die Kräfte der Sadiri in Situationen wie »Sei so gut, und schiebe mir das Bodenfahrzeug aus dem Graben« erlebt, doch jetzt hatte ich zum ersten Mal einen Sadiri in unbändiger Wut gesehen. Nicht nur Freydas Geschichte bekam dadurch eine ganz neue Aktualität, sondern auch Dllenahkhs düstere Bemerkungen zum Verhalten der Männer in der Zeit nach der Katastrophe. Schlimmer war noch, dass ich Dllenahkhs Bericht bislang im Zusammenhang mit dem schweren Trauma gesehen hatte, von dem alle Sadiri betroffen waren, denn ich wusste ja, wie sehr ihre telepathischen Fähigkeiten sie für kollektiven Zorn und kollektives Leid empfänglich machten. Aber was sollte ich davon halten, dass Dllenahkh vor vielen Jahren, in einer normalen, stabilen Gesellschaft, in der Frauen noch keine Mangelware gewesen waren, die Kontrolle über sich verloren hatte? Eine erschreckende Vorstellung.
    Freyda erriet, in welche Richtung meine Gedanken gingen, und begann erneut Entschuldigungen zu stammeln.
    »Das wird schon wieder«, sagte ich. »Keine Sorge. Lass uns hineingehen, damit ich dir die Glassplitter aus den Haaren lesen kann.«
    In dieser Nacht träumte ich von wild gewordenen Elefanten.
    Plötzlich erwachte ich im Dunkeln und hatte zunächst Mühe, mich zurechtzufinden. Dann spürte, nein, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich warf mir einen Bademantel über und stieg barfuß die Treppe zur Dachterrasse hinauf. Die Nacht war sternenklar, aber es war so kühl, dass sich bereits Tau auf den Holzdielen abgesetzt hatte. Oben auf der breiten Mauer lag eine schemenhafte Gestalt – Dllenahkh, noch nicht im Nachtgewand und hellwach. Er schaute starr zum Himmel auf, ohne sich darum zu kümmern, dass es neben ihm vier Meter in die Tiefe ging. Ich blieb dicht vor ihm stehen und schaute stirnrunzelnd auf ihn hinab.
    »Warum bist du noch auf?«, fragte ich ihn.
    Sein Blick wurde weicher; er blinzelte, und etwas von der Spannung wich aus seinem Gesicht. Doch er hielt den Blick weiter auf die Sterne gerichtet und sah mich nicht an. »Ich wollte dich nicht stören«, antwortete er.
    Ich wusste, dass er etwas von meinem Albtraum ahnte. Ich wusste, dass er Angst, Anspannung und allerlei andere Empfindungen gespürt hatte, die ich nie zuvor mit ihm in Verbindung gebracht hatte. Aber er war Dllenahkh. Er würde mich nie drängen, eine Erklärung abzugeben, sondern geduldig mit offenen Armen warten, bis ich bereit war, mich ihm anzuvertrauen.
    Ich entschied mich, gleich zur Sache zu kommen. »Was ich heute erlebt habe, hat mich erschreckt. Jemand hatte mir nämlich – ganz zufällig – von deiner ersten Ehe erzählt.«
    Eine Weile blieb es still. Dann
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