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Die beste Lage: Roman (German Edition)

Die beste Lage: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Lage: Roman (German Edition)
Autoren: Gaetano Cappelli
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schon noch begreifen, wer Chatryn Wally Triny war, »der Albtraum der Weinproduzenten«, wie die mondänen New Yorker Zeitungen sie nannten.
    Er dagegen wies er ihr nichtsahnend den Weg und nahm sie sogar am Arm. Wenn sie sich nicht reflexhaft mit einer gereizten Geste von ihm losriss, dann nur deshalb, weil sie wusste, dass solche »Berührungen« unter Italienern nicht unbedingt dieselbe Bedeutung hatten wie in Amerika und einfach ein Zeichen der Freundschaft sein konnten, obwohl Yarno Cantini mit diesem seinem Blick sicher mehr sein wollte als ein Freund. Dennoch war sie im Begriff, sich ihm zu entwinden, weil sie es zusätzlich aufregte, dass sie eine weitere Avance hätte hinnehmen müssen, um nur ja nicht als die übliche bigotte Yankeefrau zu gelten – das Allerletzte für eine Italoamerikanerin! –, aber dann löste sich das Problem von selbst.
    »Herr Graf, bitte entschuldigen Sie, aber die Person, die Sie erwarten, ist soeben eingetroffen«, sagte ein Typ, wahrscheinlich ein Gutsverwalter, der plötzlich aus irgendeiner Ecke aufgetaucht war.
    Yarno sah ihn ungehalten an, wandte sich dann an Chatryn und sagte: »Meine Liebe, ich muss dich verlassen … nur für ein paar Minuten. In der Zwischenzeit kannst du einen Blick in die Schlosskapelle werfen.« Er zeigte auf das Ende der Allee, wo diese zwischen sehr hohen Zypressen zu sehen war. »Außer ein bisschen Abkühlung wirst du dort eine Tafel finden, die angeblich von Giotto stammt … auch wenn das meiner Meinung nach leider nicht zutrifft.« Dann neigte er das Haupt zu einem galanten Handkuss und kehrte auf demselben Weg zurück, in respektvollem Abstand gefolgt von dem Mann aus dem Volke.
    Chatryn war wieder allein.
    Die Zikaden zirpten ihre unablässig intermittierende Melodie. Am Himmel flogen gelangweilte Ringeltauben vorbei. Ein sanfter Windhauch bewegte ihr gewelltes Haar und die Wipfel der hohen Zypressen, deren finsterer Schatten auf den Weg fiel, in den sie jetzt einbog.
    Ein sanfter Zephir
    Das Innere des Kirchleins war sogar zu kühl und die Altartafel wirklich so durchschnittlich, wie Yarno angedeutet hatte. Fast fröstelnd trat Chatryn wieder ins Freie und nahm den Feldweg auf der Rückseite, der von zwei Lavendelhecken gesäumt war, über denen sich ganze Schwärme von Skarabäen tummelten. Ihre bläulich-smaragdgrünen Flügel glänzten in der Sonne, und die Luft ringsum war erfüllt von ihrem dumpfen, an den Bass einer abgenutzten Orgel erinnernden Summen. Chatryn betrat den kleinen Friedhof, wo wieder Stille sie umfing. Ja, es war, als würde die Stille sie wie ein Strudel in einen versteckten Winkel hineinziehen, wo sich hinter einem verfallenen Mäuerchen, das mit trockenem Moos und Heckenrosen verziert war, so weit das Auge reichte, diese unvergleichliche Landschaft erstreckte, diese sanften Hügel, die von grünen Weinbergen durchsetzt waren, von gelegentlichen bewaldeten Flächen und langen Reihen breitkroniger Bäume und hochragender Zypressen, von Burgen mit zinnenbewehrten Türmen, dieses ganze Panorama also, das die großen toskanischen Meister so oft als Hintergrund für die Bildnisse ihrer Heiligen, Adligen, Engel und Kondottieri gemalt hatten.
    Genau eines dieser Bilder glaubte Chatryn nun vor sich zu haben, als sie das nicht gemalte, sondern aus schneeweißem Marmor gemeißelte Gesicht von Yarno erblickte.
    Ja, er war es wirklich . Ohne jeden Zweifel.
    Einen Moment schien es, als befände sie sich in einem Traum – oder vielleicht in einem Albtraum –, und der dauerte genau so lange, bis sie den in den Grabstein eingemeißelten Namen las: Giovanni Cantini del Canto degli Angeli. Erleichtert seufzte sie auf. Nein, sie hatte nicht den Verstand verloren wie ihre Mutter. Natürlich, wie dumm von ihr! Es war ja klar, dass es sich um einen von Yarnos Vorfahren handeln musste. Dennoch war diese so frappierende, so vollkommene Ähnlichkeit in höchstem Maße verwirrend.
    Wie betäubt begann sie, dieses Antlitz zu streicheln – ein wunderschönes Antlitz. Yarnos an sich schon perfekte Gesichtszüge fanden in der Kunst eine weitere Sublimierung: die Nase eines griechischen Gottes, der weiche Mund, der Spitz- und Schnurrbart des Abenteurers, das in fließende Locken gelegte Haar des Helden. Chatryns Finger glitten über den glatten Marmor, der sich trotz der Hitze des sommerlichen Frühnachmittags kühl anfühlte und so starke Gefühle in ihr auslöste, dass sie die Augen schließen musste – und als sich nun wieder ein Zephir
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