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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte
Autoren: Kristin Cashore
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sich. Jede Bewegung, die Landschaft, der Boden und der Himmel, sogar die Gedanken der Menschen – alles scheint zu einem Bild zu werden. Und ich kann endlich meinen Platz darin spüren. Ich bin zwar immer noch überwältigt. Aber nicht annähernd so wie zuvor.«
    Sie biss sich auf die Lippe. »Bo! Das verstehe ich nicht.«
    »Es ist einfach, Katsa. Als wenn die Dinge sich von allein ordnen, wenn ich mich jeder Wahrnehmung öffne. Denke an uns, wie wir hier stehen. In dem Baum hinter mir sitzt ein Vogel, siehst du ihn?«
    Katsa schaute über seine Schulter. Ein Vogel saß auf einem Ast und zupfte an den Federn unter seinem Flügel. »Ja, ich sehe ihn.«
    »Zuvor hätte ich versucht, meine Wahrnehmung des Vogels abzuwehren, damit ich mich auf den Boden unter meinen Füßen und auf dich in meinen Armen konzentrieren kann. Aber jetzt lasse ich den Vogel und alles andere Unwichtige über mich kommen, und die unwichtigen Dinge verblassen ganz von selbst. So dass allein du meine Aufmerksamkeit hast.«
    Katsa überkam ein seltsames Gefühl. Es war, als ließe einnagender Schmerz endlich nach und sie sei plötzlich frei davon. Es war Erleichterung und Hoffnung zugleich. »Bo! Das ist gut!«
    Er seufzte. »Es ist sehr angenehm, wenn einem nicht mehr so schwindlig ist.«
    Sie zögerte und fand dann, sie könne es genauso gut sagen, da er es anscheinend selbst schon wusste. »Ich glaube, es ist Zeit, dass du wieder kämpfst.«
    Er lächelte ein wenig. »So? Meinst du?«
    Sie nahm großmütig die defensive Rolle ein. »Warum nicht? Du wirst deine Kraft zurückgewinnen, dein Gleichgewicht festigen – und dein Bruder ist der perfekte Gegner …«
    Er legte seine Stirn an ihre. Seine Stimme war sehr leise. »Beruhige dich, Wildkatze. Du bist die Expertin. Wenn du glaubst, es ist Zeit, dass ich anfange zu kämpfen, dann ist es wahrscheinlich Zeit, dass ich anfange zu kämpfen.«
    Er lächelte immer noch, und Katsa konnte es nicht ertragen, weil es das kleinste und traurigste Lächeln der Welt war. Doch als er den Finger hob, um damit ihr Gesicht zu streicheln, sah sie, dass er seinen Ring trug.

Langsam entstand eine Art Schule. Katsa entwarf Übungen für Skye und Bo, die vor allem Bos Kraft herausforderten. Skye war zufrieden, weil ihn die Übungen begünstigten; Katsa war zufrieden, weil sie Bos Fortschritte sehen konnte. Sie ließ die beiden immer ringen, selten richtig boxen, und stets erinnerte sie Bo in Gedanken und laut daran, sich mit Muskelkraft und nicht mit Hilfe seiner Gabe aus jeder Klemme zu befreien.
    Neben den ringenden Brüdern brachte Katsa Bitterblue bei, wie man ein Schwert hielt, damit den Gegner abwehrte und dann zuschlug – Stellung, Gleichgewicht, Kraft und Bewegung sowie Schnelligkeit. Das Mädchen war mit dem Schwert zuerst unbeholfen, wie damals mit dem Messer, doch sie trainierte hartnäckig, und wie Bo machte sie Fortschritte.
    Und Katsas Schule wuchs. Die Wachleute und Boten konnten nicht widerstehen zuzuschauen, wie Lady Katsa ihre junge Königin im Schwertkampf unterrichtete und der beschenkte Lienid und sein Bruder einander zu Boden rangen. Sie umringten die Kämpfenden, stellten Fragen zu einer Übung, die sie sich für die Prinzen ausgedacht hatte, oder einem Trick, den sie Bitterblue zum Ausgleich für ihre fehlende Größe und Kraft lehrte. Ehe sie es sich versah, brachte Katsa den Trick zwei jungen Soldaten von der südlichen Küste Monseas bei und zeigte Bitterblues Wachmännern eine Übung zur Verbesserung der Schlagabwehr im Gefecht. Das alles bereitete Katsa großes Vergnügen. Es war eine Freude zu sehen, wie ihre Schüler besser wurden.
    Und Bo wurde wirklich stärker. Er verlor immer noch bei den Ringkämpfen, doch jedes Mal dauerte es länger und länger. Sein Gleichgewicht, seine Körperbeherrschung besserten sich. Die Kämpfe wurden zunehmend amüsanter, einmal, weil die Brüder einander so ebenbürtig waren, und dann, weil sich der Hof mit der Schneeschmelze in einen Morast verwandelte. Natürlich fanden sie nichts schöner, als dem Gegner den Schlamm ins Gesicht zu schmieren. Wenn Bos blitzende Augen nicht gewesen wären, hätte man die Brüder an den meisten Tagen nicht unterscheiden können.
    Es kam der Tag, an dem einer der schlammbedeckten Prinzen den anderen zu Boden presste und lauthals seinen Sieg verkündete und Katsa feststellte, dass der Sieger zum ersten Mal Bo war. Er sprang lachend auf die Füße und schenkte Katsa ein verschmitztes Grinsen. Dann wischte er sich
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