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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin
Autoren: Walden Conny
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verfangen.
    Kommandant Hagen van Dorpen führte das Verhör durch, und Erich von Belden war als Zeuge dabei. Da Erich schreiben konnte und im Moment kein anderer Schreiber abkömmlich war, wurde er angewiesen, die Aussage zu protokollieren. Der Henker schien sichtlich Freude an seinem Handwerk zu haben und es gar nicht abwarten zu können, der Gefangenen erneut zuzusetzen. Die Gerüche von Blut, Schweiß, Urin und verbranntem Fleisch mischten sich auf eine Weise, die einem fast den Atem rauben konnte.
    Erich hasste es, in diesem Folterkeller seine Pflicht erfüllen
zu müssen. Die Schreie der Mina Lodarsen vermengten sich in seiner Vorstellung mit den Schreien der Verwundeten und Sterbenden jener Schlachtfelder, auf denen er als Söldner gekämpft hatte. Ein Chor der verdammten Seelen, der Erich manchmal bis in den Schlaf verfolgte und nun wohl um eine weitere Stimme ergänzt würde.
    Noch einmal nahm der Folterer das Eisen und hinterließ damit ein dunkles Brandmal am Oberschenkel. Mina Lodarsen wand sich in ihren Fesseln. Ihre Schreie indes waren schwach und leise geworden.
    Â»Glaubst du wirklich, dass dieses Vorgehen die Wahrheit befördert?«, fragte Erich von Belden schließlich.
    Der Henker grinste. »Es wird ihr jedenfalls auch nicht hinderlich sein«, meinte er und lachte dann breit.
    Â»Auch nicht, wenn diese Frau nur noch wirres Zeug redet und gar nicht mehr weiß, was sie sagt?«
    Â»Ihr scheint ein mildtätiges Herz zu haben, Herr«, bemerkte der Henker hämisch. »Aber Ihr solltet nicht vergessen, bei wie vielen Morden diese Sünderin behilflich war!« Er spuckte aus und brachte damit seine ganze Verachtung zum Ausdruck. »Nur eine Viertelstunde sollte man sie dem Pöbel da draußen überlassen! Die Leute aus ihrer eigenen Gasse würden sie bei lebendigem Leib zerreißen, sodass sie sich in meine Obhut zurückwünschte!« Er feixte.
    Â»Lasst es gut sein!«, schritt jetzt sogar Hagen van Dorpen ein. Der Wille der Gefangenen war schließlich gebrochen, und sie gestand nun kaum vernehmbar die ersten Namen.
    Der Henker schien sich darüber zu freuen, dass er in Zukunft wohl genug zu tun haben würde. Erich hingegen ahnte, dass in den nächsten Tagen wahrscheinlich Dutzende von Verhaftungen durchzuführen wären. Die meisten Mittel und Tinkturen, die Mina Lodarsen hergestellt hatte, waren ihren
Angaben nach von ihr allerdings gar nicht zu dem Zweck zusammengemischt worden, eine möglichst wirksame Giftmixtur zu erzeugen, sondern aus anderen Gründen. Tränke zur Beeinflussung von Mitmenschen in Liebesdingen hatte Mina Lodarsen angeblich am häufigsten verkauft.
    Erich von Belden musste sie des Öfteren auffordern, nicht so schnell zu sprechen, denn der Ritter und frischgebackene Hauptmann der Stadtwache war nicht einmal annähernd in der Lage, bei der Aufzeichnung ihrer Aussage Schritt zu halten. In Momenten wie diesen hätte sich Erich am liebsten gewünscht, nicht des Lesens und Schreibens mächtig zu sein, auf dass der Kelch eines solchen Verhörs an ihm vorübergegangen wäre. Erichs Vater, der Baron von Belden, hatte darauf bestanden, dass Erich regelmäßig Zeit in einer Klosterschule verbrachte, um lesen zu lernen. »Wenn ich schon nicht allen meinen Söhnen ein Gut hinterlassen kann, das sie zu ernähren vermag, dann sollen sie wenigstens solide ausgebildet sein – mit dem Schwert ebenso wie mit dem Federkiel! Das wird die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein Auskommen zu finden – denn für die Ehre allein kann ein Edler in dieser Zeit leider nichts mehr erwerben!«
    Diese Worte klangen Erich im Ohr. Gewiss hatte der Baron von Belden wohl niemals daran gedacht, dass sein Sohn eines Tages gezwungen sein könnte, sich als jemand zu verdingen, der das wirre Gestammel einer gefolterten Giftmischerin aufzuschreiben hatte. Aber es war einfach eine neue Zeit angebrochen, in der die alten Ideale und Tugenden nur noch wenig zählten. Die Schrift war für Erich das Symbol dieser neuen Zeit. Hatte früher das Wort eines souveränen Herrn gegolten, um Recht zu sprechen, so ging man nun dazu über, alles aufzuschreiben. Die Gesetze ebenso wie das Gestammel einer Gefolterten – nur, damit man hinterher einen Beleg dafür
hatte, die richtige Person dem Tode überantwortet und hingerichtet zu haben. Es war eine Zeit, in der das Geld mehr zu zählen begann als die
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