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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Einfachheits-Vorstellungen, weil es dort gut ist. Und Stadt haßt er, weil Stadt das Element ist, das mich fortzerrt …
    Ich muß ihm Freundschaft anbieten. Muß ihm klarmachen,
daß ich in meinem Beruf andere Dinge brauche. Muß ihm nochmals meinen Beruf darlegen. Auch das Moment der Besessenheit, Unteilbarkeit …
    Muß mich für meine Ungerechtigkeit entschuldigen. Muß ihm klarmachen, daß dieser Beruf aus tausend kontrafamiliären Dingen besteht, aus scheinbaren Träumen, aus freien Rhythmen, aus Mobilität, aus Elfenbeinturm auch …
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    Ein Haus auf dem Lande. Warum die überflüssige Zurückweisung der bloßen Zumutung, daß ich mit einem Haus auf dem Lande etwas zu schaffen haben könnte? Warum diese spontane ressentimentgeladene Reaktion? Weil ich mir das Gästebuch ansah und drinnen Sätze des Behagens las, Sätze, die den Luftkrieg gegen die Libellen in Erinnerung bringen, die steinerne Bank draußen nachkostend erwähnen, das Brot- und Wein-Dasein? – das einfache Leben als Möglichkeit …
    Ich habe sogleich nach meiner Ankunft in Carona ein beklemmendes Unbehagen verspürt. Wie ein Verbannter. Die Natur, dachte ich, mit Schrecken.
    Und angesichts dieser Natur draußen, die mich anschweigt, mit ihren Erfindern zusammen wartet, daß ich den Atem finde einzustimmen, den Landmannsatem, die Einstellung für die steinerne Bank, wenn es schön würde, das Ohr für die Libellen …
    Ich würde hier gar nicht erst auspacken, mich keinesfalls einrichten.
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    Heute Dubčeks Rede gehört. Keine Floskeln, eine schöne direkte Rede an das Volk wie an eine Familie, jedenfalls an eine Gemeinschaft, ergreifend. So menschlich, daß sogar der Stil großartig wird.
    Die Tschechoslowakei heute das großartigste Beispiel für Hoffnung.
    Der Ideenumsatz geht heute schneller als jede Übermittlung durch den Äther. Die Jugend zehrte von kommunistischen Ideen, ich meine die Jugend in ihren Revolten rund um die Erde. Die Tschechen wieder verwenden entwickelte Praktiken der Franzosen und Deutschen (der Studenten …), und das wirkt wieder zurück. Das ist Internationalismus.
    Und Amerika – auf dem Weg zu Wallace und zum Faschismus.
    Prag: das Beispiel von Intelligenz und Vernunft und Glaube und Hoffnung; Idee als tatsächliche weltbewegende Macht.
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    London
    Ich liebe diese Stadt mit einer zärtlichen Intensität, mit einer Dankbarkeit, Rührung. Ich sehe sie an, das heißt, ich sehe hinaus – irgendwohin und weiß, daß das Auge mit etwas zurückkommt, als wäre es Traum. Das Auge holt sich draußen eine milde Verzauberung, eine innere Schau, zurück. Das ist das Wunderbare.
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    Das Grau des Alltags hat hier etwas Hochlebendiges, Hochpoetisches und atmet Anstand, Takt, Feinheit, Freiheit . Ich bin verliebt in diese Stadt, die so leise ist.
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    Die Schweiz kann man als Avantgarde auffassen, insofern sie etwas vorwegnimmt, was dem ganzen westlichen Europa blüht: die Einübung in den Tod. Hier ist das Licht des Lebens schon lange erloschen, hier hat man schon lange Übung darin, lebend tot, das heißt ohne Zukunft zu sein, das heißt nur im eignen Materialismus zu schmoren. Das
heißt ohne Hoffnung und doch dick zu sein und hoffärtig und dünkelhaft.
    Die Schweiz hat 100 Jahre Vorsprung in der Einübung in den Tod.
    Die Lebenszentren haben sich verschoben, die Sonnenzentren haben sich verschoben, wir sind Trabanten, die im Schatten fortdauern, ohne Möglichkeit ins Leben zu investieren, ins Leben zu hoffen.
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    London, Fitzroy Road 34A
    Wenn ich an meinem Roman schreibe, habe ich nicht bloß die ständigen Fluchtinstinkte zu unterdrücken (die Widerstände), nein: Ich ertappe mich dabei, daß ich – wie ein Kind, das erst die Aufgaben machen muß, bevor es hinaus darf – dauernd an irgendwelche Vergnügungen denke, die ich mir nachher oder danach werde leisten dürfen. Als hätte ich ein Pensum zu absolvieren, als würde ich mir mit dem Schreibpensum ein bißchen Lebensabenteuer (Lebenserwartung) verdienen. Eigentlich komisch, denn wenn ich an einem Essay sitze, geht es mir anders. Ich fühle mich dann viel weniger in Klausur oder im Gegensatz zum Leben, weniger ausgesperrt. Ich kann kontinuierlicher und eigentlich auch genußvoller vor mich hin
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