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Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)

Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Autoren: Torkil Damhaug
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warum er gekommen war. Plötzlich war der Vater aufgesprungen.
    »Ingrid! Soll ich sie wecken?« Ja, meinte Axel, das sei sicher das Beste. Kurz darauf hörte er einen herzzerreißenden Schrei aus dem Obergeschoss, der nach und nach das ganze Haus erfüllte und kein Ende nehmen wollte. Ingrid Brodahl, die er von den Sitzungen des Elternbeirats kannte, kam im Schlafanzug aufgelöst die Treppe heruntergestürzt, und in diesem Augenblick bereute es Axel, vorbeigekommen zu sein.
    Als das Taxi eine Vollbremsung machte, wurde er gegen den Vordersitz geworfen. Ein Fußgänger, der fast auf der Kühlerhaube gelandet wäre, huschte über die Straße. Die Fahrerin fuhr die Scheibe herunter und schrie ihm einen saftigen Fluch hinterher. Auf dem Bürgersteig drehte er sich um und starrte sie an.
    »Stopp, warten Sie!«, rief Axel, als die Fahrerin aufs Gaspedal trat und die Kreuzung überquerte.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte sie.
    »Halten Sie am Straßenrand, und warten Sie hier!«
    Er riss die Tür auf und stürzte aus dem Wagen. Ein Stück weit entfernt, in der Sporveisgata, erblickte er ihn.
    »Brede!«, rief er.
    Aber der Mann drehte sich nicht um. Axel begann zu laufen. Auch der andere beschleunigte seine Schritte. Sie waren nur dreißig Meter voneinander entfernt, als er plötzlich zwischen zwei Gebäuden verschwand. Axel sprintete hinterher und fand sich keuchend auf einem leeren Innenhof wieder. Bleib jetzt ganz ruhig, ermahnte er sich. Du hattest eine furchtbare Nacht. Du wirst auch diesen Tag überstehen. Nur darum geht es. Ihn irgendwie hinter sich zu bringen.

6
    A ls er mit halbstündiger Verspätung seine Praxis betrat, saßen schon vier Patienten im Wartezimmer. Er schaute an der Rezeption vorbei. Rita unterbrach augenblicklich ihr Telefongespräch und drückte auf »Halten«, als sie ihn sah.
    »Bist du fit?«, fragte sie in ihrem melodischen, nordnorwegischen Singsang.
    »Schön wär’s«, antwortete er seufzend. »Wie ist die Lage?«
    »Leider keine Absagen. Das ist der Preis, wenn man so beliebt ist.«
    Sie stand auf, ging mit wiegendem Schritt zur Kaffeemaschine und schenkte ihm einen großen Becher ein.
    »Ich hab die Patienten schon informiert, dass es heute etwas später losgeht. Außerdem habe ich Inger Beate gebeten, uns bis Mittag ein, zwei Patienten abzunehmen, sollte die Zeit zu knapp werden.«
    Sie tätschelte ihm mütterlich die Schulter. »Wir schaffen das schon.«
    »Was sollte ich nur ohne dich anfangen«, entgegnete er mit dankbarem Lächeln.
    Das war mehr als eine Phrase. Rita hatte alles unter Kontrolle. Sie konnte ebenso resolut wie liebenswürdig sein, ganz wie es die Lage erforderte. Ihm graute stets vor ihren Urlaubszeiten.
    »Und denk dran, dass heute das Praktikum beginnt«, zwitscherte sie.
    »Ach verflucht, ist das heute?«
    Axel hatte ein weiteres Mal zugesagt, sich um einen Medizinstudenten zu kümmern, doch an diesem Morgen würde seine Geduld den pädagogischen Herausforderungen kaum gewachsen sein.
    »Ich habe ihr das Büro von Ola gegeben, das ist ja in nächster Zeit frei.«
    »Sie? Ich dachte, es käme ein Mann.«
    »Die haben wohl getauscht. Ich hatte dir gestern einen Zettel hingelegt.«
    Er schlürfte seinen Kaffee. In seiner heutigen Verfassung wäre ihm ein junger Mann lieber gewesen.
    »Gut, dann lass sie … ach nein, gib mir noch fünf Minuten.«

    Er ließ sich auf seinen Stuhl sinken, fuhr den Rechner hoch und zog die Gesichtshaut so weit zurück, wie er konnte. Er hatte Brede seit zwanzig Jahren nicht gesehen. Wusste nicht einmal, ob er noch am Leben war. Seit Wochen, vielleicht Monaten hatte er keinen Gedanken an ihn verschwendet, bis zu dem Ausbruch seiner Mutter gestern. Der Mann auf der Straße konnte nicht Brede gewesen sein. Vermutlich nur jemand, der ihm sehr ähnelte. Erst jetzt spürte er, wie erschöpft er war. Eigentlich sollte er bis auf weiteres auf die Bereitschaftsdienste verzichten. Das Geld brauchten sie nicht.
    Die Festplatte knirschte und ratterte und hatte Schwierigkeiten, in Gang zu kommen. Wenn der Computer bereit ist, bin ich es auch, dachte er. Sein Schlafbedürfnis sperrte er in eine Kammer und warf den Schlüssel weg: Ich bin nicht mehr müde! Es klopfte an der Tür.
    »Mist!«, murmelte er, weil er die Praktikantin schon wieder vergessen hatte. Er sprang auf und klopfte sich ein paar Mal auf die Wangen. »Showtime«, sagte er zu seinem Spiegelbild und rief sie herein.
    Sie schloss die Tür hinter sich. Ihre Hand war schmal und warm.
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