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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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ihren vor Angst und Hunger gebrochenen Augen verfolgten, gleichgültig zum Großteil die Erwachsenen alles Geschehende, sich in ihrer ganzen totalen Hilflosigkeit zu Ende Vollziehende hinnehmend. Sie waren wie wir schon längst an die in den Stollen Sterbenden gewöhnt gewesen, hatten längst den Stollen und also die Fürchterlichkeit der Finsternisse des Stollens als ihren tagtäglichen gewohnheitsmäßig aufzusuchenden Aufenthaltsort akzeptiert, die ununterbrochene Demütigung und Zerstörung ihres Wesens. An diesem Tage hatten wir zu der Zeit, in welcher sonst immer die sogenannte Entwarnung gewesen war, aufeinmal ein Grollen gehört, eine außergewöhnliche Erderschütterung wahrgenommen, auf die eine vollkommene Stille im Stollen gefolgt war. Die Menschen schauten sich an, sie sagten nichts, aber sie gaben durch ihr Schweigen zu verstehen, daß das, was sie schon monatelang befürchtet hatten, jetzt eingetreten war, und tatsächlich hatte sich bald nach dieser Erderschütterung und dem darauf gefolgten Schweigen von einer Viertelstunde rasch herumgesprochen gehabt, daß auf die Stadt Bomben gefallen waren. Nach der Entwarnung drängten, anders als es bisher ihre Gewohnheit gewesen war, die Menschen aus den Stollen hinaus, sie wollten mit eigenen Augen sehen, was geschehen war. Als wir im Freien gewesen waren, hatten wir aber nichts anderes gesehen als sonst, und wir hatten geglaubt, es sei doch nur wieder ein Gerücht gewesen, daß die Stadt bombardiert worden sei, und wir zweifelten sofort an der Tatsache und hatten uns gleich wieder den Gedanken zu eigen gemacht, daß diese Stadt, die als eine der schönsten auf der Welt bezeichnet wird, nicht bombardiert werden würde, woran wirklich sehr viele in dieser Stadt geglaubt haben. Der Himmel war klar, graublau, und wir hörten und sahen keinerlei Beweis für einen Bombenangriff. Plötzlich hieß es aber doch, die Altstadt, also der Stadtteil auf dem gegenüberliegenden Salzachufer, sei zerstört,
alles
sei dort zerstört. Wir hatten uns einen Bombenangriff anders vorgestellt, es hätte die ganze Erde beben müssen undsofort, und wir liefen durch die Linzer Gasse hinunter. Jetzt hörten wir alle möglichen Signale als Notsignale von Feuerwehren und Rettungswagen, und als wir hinter dem Gablerbräu über die Bergstraße auf den Makartplatz gelaufen waren, hatten wir plötzlich die ersten Anzeichen der Zerstörung gesehen: die Straßen waren voll Glas- und Mauerschutt, und in der Luft war der eigentümliche Geruch des totalen Krieges. Ein Volltreffer hatte das sogenannte Mozartwohnhaus zu einem rauchenden Schutthaufen gemacht und die umliegenden Gebäude, wie wir gleich gesehen haben, schwer beschädigt. So fürchterlich dieser Anblick gewesen war, die Menschen waren hier nicht stehen geblieben, sondern in Erwartung einer noch viel größeren Verwüstung weitergelaufen, in die Altstadt, wo man das Zentrum der Zerstörung vermutete und von woher alle möglichen Geräusche und uns bis jetzt unbekannten Gerüche auf eine größere Verheerung hindeuteten. Bis über die sogenannte Staatsbrücke hatte ich keinerlei Veränderung des bekannten Zustandes feststellen können, aber auf dem Alten Markt war, schon von weitem zu sehen, der bekannte und geschätzte Herrenausstatter Slama, ein Geschäft, in welchem, wenn er das Geld und die Gelegenheit dazu hatte, mein Großvater eingekauft hatte, arg in Mitleidenschaft gezogen, sämtliche Fenster des Geschäfts, Auslagenscheiben und die dahinter ausgestellten, wenn auch der Kriegszeit entsprechend minderwertigen, so doch begehrenswerten Kleidungsstücke waren zerschlagen und zerfetzt gewesen, und mich wunderte, daß die Leute, die ich auf dem Alten Markt gesehen hatte, von der Zerstörung des Herrenausstatters Slama kaum Notiz nehmend, in Richtung Residenzplatz liefen, und sofort, wie ich mit mehreren anderen Zöglingen um die Slamaecke gebogen bin, habe ich gewußt,
was
die Menschen hier nicht stehenbleiben, sondern weiterhasten ließ: den Dom hatte eine sogenannte Luftmine getroffen, und die Domkuppel war in das Kirchenschiff gestürzt, und wir waren gerade im richtigen Zeitpunkt auf dem Residenzplatz angekommen: eine riesige Staubwolke lag über dem fürchterlich aufgerissenen Dom, und dort, wo die Kuppel gewesen war, war jetzt ein ebenso großes Loch, und wir konnten schon von der Slamaecke aus direkt auf die großen, zum Großteil brutal abgerissenen Gemälde auf den Kuppelwänden schauen: sie ragten jetzt, angestrahlt von der
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