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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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Menschen auch ohne diesen nationalsozialistischen Totalitarismus als fortwährenden Einfluß auf alles immer nur eine auf nichts als auf Zersetzung und Zerstörung und Abtötung zielende gewesen ist) angeherrschte und damit zum Selbstmord erschütterte Existenz aus dem Fenster zu werfen, von einer der Mönchsbergfelswände herunter, also lieber kurzen und kürzesten und im eigentlichsten elementarsten Sinne des Wortes
kürzesten Prozeß
zu machen, als sich nach und nach durch einen staatlich-faschistisch-sadistischen Erziehungsplan als staatsbeherrschendes Erziehungssystem nach den Regeln der damaligen großdeutschen Menschenerziehungs- und also Menschenvernichtungskunst zerstören und vernichten zu lassen, denn auch der aus einer solchen Anstalt als Internat entlassene und entkommene junge Mensch, und von keinem anderen spreche ich an dieser Stelle, ist für sein weiteres Leben und seine weitere immer zweifelhafte Existenz, gleich wer er ist und gleich was aus ihm wird, in jedem Falle eine zu Tode gedemütigte und zugleich hoffnungslose und dadurch
hoffnungslos verlorene Natur
, als Folge seines Aufenthaltes in einem solchen Erziehungskerker als Erziehungshäftling vernichtet worden, er mag Jahrzehnte weiterleben als was und wo immer. So haben vor allem zwei Ängste in dieser Zeit in dem Zögling, der ich damals gewesen bin, geherrscht, die Angst vor allem und jedem im Internat, vornehmlich die Angst vor dem immer unvermittelt und mit der ganzen militärischen Infamie und Schläue auftauchenden und strafenden Grünkranz, der ein Musteroffizier und Muster-SA-Offizier gewesen war und welchen ich fast niemals in Zivil, immer nur entweder in seiner Hauptmanns- oder in seiner SA-Uniform gesehen habe, dieser wahrscheinlich mit seinen sexuellen und pervers-allgemein-sadistischen Krämpfen und
Wider
krämpfen, wie ich jetzt weiß, niemals fertig werdende, einem Salzburger Liederchor vorstehende durch und durch nationalsozialistische Mensch einerseits und der Krieg andererseits, der aufeinmal nicht nur aus den Zeitungen und aus den Berichten der urlaubmachenden Verwandten als Soldaten wie von meinem Vormund, der auf dem Balkan, und von meinem Onkel, der in Norwegen stationiert gewesen war und der mir als genialer Kommunist und Erfinder, der er zeitlebens gewesen ist, immer als ein mich mit in jedem Falle außerordentlichen und gefährlichen Gedanken und unglaublichen und ebenso gefährlichen Ideen konfrontierender Geist und schöpferischer Mensch, wenn auch krankhaft unstabiler Charakter im Gedächtnis geblieben ist, als nur in weiter Ferne sich vollziehender ganz Europa beherrschender menschenfressender
Alptraum als Bericht
gegenwärtig und fühlbar, sondern uns allen auf einmal durch die jetzt schon beinahe täglichen sogenannten Luft- oder Fliegeralarme gegenwärtig gewesen war, zwei Ängste,
zwischen und in
welchen sich diese Internatszeit mehr und mehr zu einer lebensbedrohenden entwickeln mußte. Der Studierstoff war von der Angst vor dem Nationalsozialisten Grünkranz einerseits und von der Angst des Krieges in Form von Hunderten und Tausenden tagtäglich den klaren Himmel verdüsternden und verfinsternden, dröhnenden und drohenden Flugzeugen andererseits in den Hintergrund gedrängt, denn die meiste Zeit hatten wir bald nicht mehr in der Schule, in der Andräschule oder in den Studierzimmern und also mit dem Studienmaterial zusammen, verbracht, sondern in den Luftschutzstollen, die, wie wir monatelang beobachtet hatten, von fremdländischen, vornehmlich russischen und französischen und polnischen und tschechischen Zwangsarbeitern unter unmenschlichen Bedingungen in die beiden Stadtberge getrieben worden waren, riesige, Hunderte Meter lange Stollen, in welche die Stadtbevölkerung zuerst nur aus Neugier und nur zögernd, dann aber, nach den ersten Bombenangriffen auch auf Salzburg, tagtäglich zu Tausenden in Angst und Schrecken hineinströmte, in diese finsteren Höhlen, in welchen sich die fürchterlichsten und sehr oft tödlichen Szenen vor unseren Augen abspielten, denn die Luftzufuhr in die Stollen war nicht ausreichend, und oft war ich mit Dutzenden, nach und nach mit Hunderten von ohnmächtigen Kindern und Frauen und Männern in diesen finsteren und nassen Stollen zusammen, in welchen ich heute noch die Tausende von in sie hineingeflüchteten Menschen dicht aneinandergedrängt ängstlich stehen und hocken und liegen sehe. Die Stollen in den Stadt-bergen waren ein sicherer Aufenthalt vor den Bomben gewesen,
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