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Die Auserwahlte

Die Auserwahlte

Titel: Die Auserwahlte
Autoren: Vampira VA
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ließ. Und dessen Anblick offenbar genügte, jeden daran zu hindern, wirklich über den seltsamen Verlauf dieser Schwangerschaft nachzudenken, sondern sie veranlaßte, es hinzunehmen -wenn auch mit Unbehagen.
    Und so wurde Mariah von ihren Schwestern eigentlich nicht ausgeschlossen, vielmehr war sie selbst es, die sich zurückzog, ohne jedoch die bloße Nähe zu den anderen aufzugeben. Einzig zu Rebecca hielt sie noch einen etwas engeren Kontakt. Wenn das Aufrechterhalten dieser Verbindung auch viel mehr von Rebecca ausging .
    Nebeneinander saßen sie im Klostergarten, an einer Stelle, wo die Mauer ein wenig niedriger war als ringsum und den Blick hinaus auf die scheinbar endlosen Wälder von Maine freigab.
    Der Farbenbrand des Indian Summer war mittlerweile verloschen, die Bäume hatten ihr herbstlich buntes Blätterkleid fast zur Gänze abgestreift, so daß ihre Kronen eine dunkel gemaserte Ebene bildeten, die nur noch von vereinzelten und winzigkleinen Farbklecksen gesprenkelt war. Als hätte ein Maler seinen Pinsel darauf gesäubert.
    »Ist es nicht wunderschön?«
    Rebecca schreckte aus ihrer Versonnenheit und wandte sich der Freundin zu.
    »Was?«
    »Was die Natur tut. Sie gebiert ständig neues Leben und läßt es wieder vergehen, und doch weiß sie selbst das Sterben noch anmutig zu zelebrieren«, antwortete Mariah, und ihre Geste schloß die ganze Landschaft um sie her mit ein.
    »Wie kannst du vom Sterben sprechen, wo doch Leben in dir heranwächst?« fragte Rebecca nicht ohne Hintergedanken. Wieder und wieder hatte sie in den vergangenen Tagen versucht, Mariah mehr zu entlocken. Hatte erfahren wollen, wer der Vater des Kindes in Mariahs Leib war und wie es hatte geschehen können.
    Jetzt bot sich einmal mehr eine Gelegenheit, das Geheimnis zu lüften. Und vielleicht würde Mariah ja diesmal nicht ausweichen oder einfach in lächelndes Schweigen verfallen.
    »Beides ist unweigerlich miteinander verbunden. Es gibt das eine nicht ohne das andere«, erwiderte Mariah.
    »Hast du geglaubt sterben zu müssen, als dir bewußt wurde . was passiert war?« verfolgte Rebecca die Richtung weiter, bemüht, etwas wie beiläufiges Interesse in ihre Stimme zu legen.
    »Als es mir bewußt wurde, nicht mehr. Der Gedanke war nur in dem Moment da, als ich noch nicht wußte, was mir da widerfuhr«, sagte Mariah. »Danach spürte ich nur noch Dankbarkeit. Ein so tiefes und starkes Gefühl, daß nichts, kein Schmerz dieser Welt es auslöschen könnte.«
    »Wem bist du denn dankbar?« fragte Rebecca und wollte sich noch im selben Augenblick auf die Zunge beißen, weil ihr die Wortwahl allzu plump erschien.
    Doch Mariah ließ sich nicht verschrecken.
    »Der Macht, die den Keim in mich gesät hat«, sagte sie.
    »Der Macht?«
    Mariah nickte.
    »Es ist soviel anders, als ihr alle es euch vorstellen könnt, Rebecca. Soviel wunderbarer. Mehr noch - es ist ein echtes und wirkliches Wunder, etwas von wahrhaft gewaltiger Bedeutung. Und ich bin auserwählt, daran teilzuhaben. Ich bin es, in der das Wunder geschieht.«
    Für Sekunden schien in Mariah ein wirkliches Feuer der Begeisterung zu brennen, und sein Widerschein ließ ihre Augen schier glü-hen.
    »Ich würde so gern wissen, was es damit auf sich hat. Was du mit deinen Worten meinst ...«, setzte Rebecca an.
    Mariah wandte sich ihr zu, lächelnd wie immer. »Du wirst es erfahren. Ihr alle werdet es erfahren.«
    Und so geschah es auch.
    Sie erfuhren es.
    Exakt 666 Stunden, nachdem es begonnen hatte.
    *
    New York
    Tausende Menschen drängten sich auch zu dieser späten Stunde noch durch die gewundenen Gassen Chinatowns. Fahrräder klapperten, und beinahe babylonisches Stimmengewirr füllte die Luft, die nach Fisch und orientalischen Gewürzen und allen möglichen Dingen roch.
    Singendes Kantonesisch mengte sich mit monotonem Kantone-sisch, und dazwischen klang der harte Dialekt der Provinz Fujian auf. Straßenhändler standen dicht an dicht, boten Obst, Wäsche, Spielzeug und tausend andere Sachen feil. An den Fenstern der Schlachterläden hingen geröstete Enten, die wie lackiert aussahen und wie alles ringsum durch den Widerschein von Leuchtreklamen und Straßenlampen wie im Licht einer anderen Welt funkelten.
    Und es war in der Tat eine andere Welt, die Lilith mit Erreichen des Viertels zwischen Grand und Mulberry Street betreten hatte. Eine Welt mitten in New York - und doch außerhalb Amerikas. Eine Welt, die nicht einfach nur im herkömmlichen Sinne überbevölkert war, sondern
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