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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin
Autoren: Ingrid Noll
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gekränkt, die Hälfte verpaßt zu haben. Wo war Alma?
    »Schläft.«
    Mißtrauisch sah ich in der Hängematte und in allen meinen Betten nach. Offensichtlich war sie wieder oben. Ich informierte Pawel.
    Er zog finster die Brauen zusammen. »Geh du sie bitte holen, mir ist es so zuwider…«
Mir auch, aber ich gehorchte. Ich brauchte weder zu klopfen noch zu klingeln, alle Türen standen offen. Sie bemerkten mich nicht, denn sie schwatzten laut bei plärrendem Radio.
»Das Kind ist nicht von mir«, hörte ich Levin sagen.
Alle drei lachten schallend. Alma piepste einen Kommentar.
»Völlig richtig, es ist von mir«, sagte der Fremde, und das war anscheinend genauso witzig wie damals die Sache mit dem Rauschgiftengel.
Ohne daß sie mich entdeckt hatten, schlich ich wieder hinunter. Ich ging in mein Zimmer, schloß die Tür ab und heulte über die menschliche Gemeinheit. War es mein Problem, wenn das Lama dort oben Bier trank? Freiwillig würde ich mich nie mehr bei Levin blicken lassen.
Irgendwann klopfte Pawel energisch an meine Tür. Ich öffnete. Auf der Treppe hätte ich eine vorzeitige Wehe verspürt, log ich. Pawel machte sich Sorgen, beschuldigte sich und seine Familie und ging Alma holen.
Als wir uns zum Mittagessen wieder versammelten, zeigte sie eine leicht beleidigte Erregung, die gewohnte Tranigkeit war wie abgefallen.
»Soll ich dich nicht heute schon zurückfahren?« fragte Pawel, der sie argwöhnisch beobachtete, mit sanfter Stimme. »Es ist anstrengend für dich.«
»Wollt ihr mich loswerden? Versprochen ist versprochen«, sagte sie erstaunlich selbstsicher.
Mir gegenüber legte sie eine gereizte Verstimmtheit an den Tag: eine Reaktion auf meinen Platz in ihrer Familie, die mir normaler vorkam als ihre bisherige Gleichgültigkeit.
    Als Alma vom Klo nicht zurückkam, sondern anscheinend ein weiteres Mal trotz Verbot nach oben geschlichen war, resignierte Pawel. »Anscheinend gefällt es ihr dort«, sagte er, »ich bin es leid, ihr hinterherzulaufen. Man wird sie ja wohl nicht gleich…«
    Ich sagte nichts. Das Problem war, daß Levin nicht ahnte, mit wem er es zu tun hatte. Er würde ihr bedenkenlos einen Joint oder einen Whisky anbieten. Aber war ich für Almas Wohl zuständig?
    Sie lebte auf einer Frauenabteilung und bekam außer Ärzten und Pflegern selten einen Mann zu Gesicht. Ich glaubte im übrigen kaum, daß sie Pawel eifersüchtig machen oder ihm seine mögliche Untreue heimzahlen wollte. Eher benahm sie sich wie ein fünfjähriges Mädchen, das sich noch ohne jedes eingebleute Schamgefühl zu lustigen Männern gesellt. Levin und seinem neuen Freund machte es natürlich Spaß, Damenbesuch zu empfangen, ganz besonders, weil es von Pawel mißbilligt wurde. Was mochte Alma dort erzählen?
    »Ich bezweifle, daß der Plan ihrer Ärzte aufgeht«, sagte Pawel. »Sie wollen Alma durch langsame Gewöhnung die Rückkehr in den Alltag erleichtern. Schließlich hält die Intervallphase schon länger an, vielleicht kommt es nie wieder zu einem akuten Schub. Aber wenn ich sie so beobachte, wird mir angst und bange.«
    Er hatte recht. Auch ich hatte das Gefühl, man könne sie nicht mit gutem Gewissen allein oder gar allein mit den Kindern lassen. Dabei tat sie weder etwas Schlimmes, noch redete sie verworren. Wenn man von ihrem starren Blick absah, machte sie sogar von weitem etwas her.
    »Mein Gott«, sagte Pawel, »du hättest sie sehen sollen, als wir heirateten! Alle beneideten mich um meine Frau: schön, klug, charmant, originell. Manchmal möchte ich diese verfluchten Pillen wegwerfen, die ihre Persönlichkeit ausschalten und sie zu einer Marionette der Pharmazie machen.«
    Der Nachmittag verlief harmlos. Alma ging mit ihrer Familie spazieren, ich blieb daheim und ruhte mich aus. Auch der Porsche war fort. Als ich zwei Stunden lang gefaulenzt hatte, begann ich fast auf die Rückkehr meiner Gäste zu lauern.
    Alma war zwar nach der Wanderung körperlich erschöpft, aber sie fiel durch eine zunehmende Ruhelosigkeit auf. Ich wußte, was sie bei nächster Gelegenheit tun würde. Tatsächlich schlich sie sich bald darauf aus dem Wohnzimmer und kam sehr schnell mit enttäuschter Miene zurück.
    Bisweilen spürte ich, daß sie mich beobachtete.
    An dieser - vielleicht nicht besonders spannenden Stelle -störte mich Rosemaries lautes Schnarchen wieder einmal auf unangenehme Weise, und ich hielt gekränkt den Mund.
20
    Beim Frühstück zeigte sich Rosemarie reumütig. »Es lag nicht an dir, daß ich
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