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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt
Autoren: John Katzenbach
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erkannte, dass etwas ganz entschieden nicht stimmte. Früher einmal hätten ihn meine Stimmen bemerkt und sich lautstark zu Wort gemeldet, doch diesmal übernahm ich es selbst, ihn der jungen Vorschullehrerin zu melden, die ich kannte und die auf der Bank zehn Meter vom Sandkasten und den Schaukeln entfernt in einer Frauenzeitschrift las und ihren Schutzbefohlenen nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte. Wie sich herausstellte, war der Mann erst kürzlich aus der Anstalt entlassen und am selben Morgen als Sexualtäter angezeigt worden.
    Diesmal gab’s zwar keine Urkunde, doch die Lehrerin ließ die Kinder ein buntes Bild für mich malen, auf dem sie sich beim Spielen darstellten. In dieser wundervoll krakeligen Schrift, die Kinder haben, bevor wir sie mit Erklärungen und Meinungen belasten, prangte ein großes DANKE quer über dem Gemälde, das ich mit nach Hause nahm und mir übers Bett hängte, wo es sich nach wie vor befindet. Ich führe ein etwas muffig vergilbtes Leben, das mich immer mal wieder an die Farben erinnert, die ich möglicherweise erlebt hätte, wäre ich nicht auf den Weg gestolpert, der mich hierher führte.
    Das fasst denn auch mehr oder weniger mein jetziges Dasein zusammen. Ein Mann im Grenzbereich zur Welt der Normalen.
    Und ich vermute mal, dass ich so oder so ähnlich auch den Rest meiner Tage herumgebracht und nie daran gedacht hätte, zu verraten, was ich alles über die Vorkommnisse wusste, deren Zeuge ich geworden war, wäre da nicht dieser Brief von einer staatlichen Behörde gewesen.
    Er war verdächtig dick, und auf dem Umschlag stand mit Schreibmaschine getippt mein Name. Von dem üblichen Haufen Reklamezettel und Rabattmarken der umliegenden Lebensmittelgeschäfte hob er sich deutlich ab. Man bekommt nicht viel persönliche Post, wenn man ein derart isoliertes Leben führt, und fällt einmal etwas aus dem Rahmen, besitzt es eine magische Anziehungskraft und will ergründet werden. Nachdem ich die übrige Post weggeworfen hatte, riss ich den Brief mit einiger Neugier auf. Als Erstes registrierte ich, dass sie meinen Namen richtig geschrieben hatten.
    Lieber Mr. Francis X. Petrel,
    Der Anfang war also viel versprechend. Ein Vorname, den man mit dem anderen Geschlecht teilt, stiftet leider oft Verwirrung. Nicht selten bekomme ich Routineschreiben von der Gesundheitsfürsorge, ihnen lägen keine Ergebnisse von meinem letzten Abstrich vor und ob ich mich denn auf Brustkrebs untersuchen lassen hätte? Ich habe inzwischen aufgegeben, diese fehlgeleiteten Computer zu korrigieren.
    Das Komitee zur Erhaltung des Western State Hospital hat Sie als einen der letzten Patienten ermittelt, die entlassen wurden, bevor das Institut vor etwa zwanzig Jahren geschlossen wurde. Wie Sie vielleicht wissen, gibt es eine Initiative, Teile des Klinikgeländes in ein Museum umzuwandeln, während der Rest als Baugebiet ausgewiesen werden soll. Im Rahmen dieser Initiative sponsert das Komitee eine eintägige »Überprüfung« der Klinik, ihrer Geschichte, der wichtigen Rolle, die sie in diesem Bundesstaat gespielt hat, sowie der gegenwärtigen Behandlungsmethoden im Bereich der Psychiatrie. Wir laden Sie ein, an diesem Tag teilzunehmen. Es sind Seminare, Vorträge und Unterhaltungsveranstaltungen geplant. Ein vorläufiges Programm liegt bei. Im Fall Ihrer Teilnahme wenden Sie sich bitte möglichst bald an die unten genannte, zuständige Stelle.
    Ich las Namen und Telefonnummer der Person, die mit Vorstand des Planungsausschusses betitelt war. Dann blätterte ich zu der Anlage weiter, die aus einer Liste der vorgesehenen Tagesveranstaltungen bestand. Darunter waren Vorträge von einigen Politikern, deren Namen ich wiedererkannte, bis rauf zum Vizegouverneur sowie dem Oppositionsführer im Bundessenat. Es sollte Diskussionsgruppen unter der Leitung von Ärzten und Sozialgeschichtlern von einer Reihe nahe gelegener Colleges und Universitäten geben. Ein Diskussionstitel sprang mir ins Auge: »Die Wirklichkeit der Klinikerfahrung – eine Präsentation«. Darauf folgte der Name von jemandem, an den ich mich aus meiner eigenen Zeit in der Klinik vage zu erinnern glaubte. Die Feier sollte mit einer musikalischen Einlage durch ein Kammerorchester abgerundet werden.
    Ich legte die Einladung auf einen Tisch und starrte sie einen Moment lang an. Mein erster Impuls war, sie zusammen mit dem übrigen Tagesmüll zu zerreißen, doch ich tat es nicht. Ich nahm sie wieder in die Hand, las sie noch einmal durch und setzte
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