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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt
Autoren: John Katzenbach
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oder einem Stadtrat gerne mal eine Gefälligkeit erweisen …«
    Er legte eine Pause ein und fügte hinzu: »Oder einer Bundesrichterin, die ein mächtiges Interesse an dem Mann hat, der ihr in einer wirklich schlimmen Nacht vor einigen Jahren das Leben gerettet hat.«
     
    Ich war noch nie in einer Limousine gefahren, schon gar nicht mit einem Polizeibeamten hinterm Steuer. Big Black zeigte mir, wie man die Fenster rauf und runter ließ, und dann, wo das Telefon war, und fragte mich, ob ich mal telefonieren wollte – auf Kosten des Steuerzahlers natürlich – mit irgendjemandem, egal, wem, doch mir fiel niemand ein, mit dem ich gerne gesprochen hätte. Little Black sagte dem Fahrer, in welcher Straße ich wohnte, und er hielt einen kleinen Matchsack mit zwei sauberen Kleidergarnituren bereit, die mir meine Schwestern besorgt hatten.
    Als wir die schmale Straße entlangfuhren, die zu meiner Wohnung führte, sah ich noch einen offiziell aussehenden Wagen vor meiner Tür parken. Ein Fahrer in schwarzem Anzug stand neben der Tür und wartete auf uns. Er schien die Moses-Brüder zu kennen, denn als wir aus der Limousine stiegen, zeigte er nur zu meinem Wohnungsfenster hoch und sagte: »Sie wartet oben.«
    Ich ging bis zur ersten Etage voraus.
    Die Tür, die Big Black und Little Black und das Krankenwagen-Team aufgebrochen hatten, war repariert, stand aber weit offen. Ich trat über die Schwelle und sah sofort, dass in meiner Wohnung sauber gemacht und alles instand gesetzt und hergerichtet worden war. Ich roch frische Farbe und sah, dass die Kücheneinrichtung neu war. Dann schaute ich auf und sah Lucy mitten in meinem kleinen Wohnzimmer stehen.
    Sie lehnte sich ein wenig nach rechts und stützte sich auf einen silbrigen Aluminiumstock. Ihr Haar glänzte schwarz, mit ein wenig Grau an den Schläfen, als wäre sie genau so alt wie die Moses-Brüder. Die Narbe in ihrem Gesicht war mit den Jahren noch weiter verblasst, doch ihre grünen Augen und ihre Schönheit waren noch genauso atemberaubend wie an dem Tag, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Sie lächelte, als ich auf sie zuging, und streckte mir die Hand entgegen.
    »Oh Francis«, sagte sie, »wir hatten solche Angst um Sie. Es ist so lange her, und jetzt – es ist schön, Sie wiederzusehen.«
    »Hallo, Lucy«, sagte ich. »Ich hab oft an Sie gedacht.«
    »Und ich an Sie, C-Bird.«
    Einen Moment blieb ich wie angewurzelt stehen, ein wenig erstarrt wie bei unserer ersten Begegnung. Es gibt Momente, in denen es einem schwer fällt, zu sprechen, zu denken oder auch nur zu atmen, besonders wenn bei jedem Wort, jedem Blick und jeder Berührung so viele Erinnerungen mitschwingen.
    Ich hatte viele Fragen auf dem Herzen, doch stattdessen sagte ich nur: »Lucy, wieso haben Sie Peter nicht gerettet?«
    Sie lächelte wehmütig und schüttelte den Kopf.
    »Ich wünschte, ich hätte es gekonnt«, sagte sie. »Aber Fireman hätte sich selbst retten müssen. Ich konnte es nicht. Und auch sonst niemand. Nur er.«
    Sie seufzte leise, und ich sah an ihr vorbei und stellte fest, dass die Wand, auf die ich geschrieben hatte, unangetastet war. Die Schriftspalten wanderten von oben nach unten und wieder hinauf, und die Zeichnungen sprangen ins Auge – die ganze Geschichte war noch genauso da wie in der Nacht, als der Engel ein letztes Mal zu mir gekommen und ich ihm durch die Finger geschlüpft war. Lucy folgte meinem Blick und drehte sich halb zur Wand um.
    »Ganz schöne Leistung, C-Bird«, sagte sie.
    »Sie haben es gelesen?«
    »Ja, wie alle.«
    Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
    »Ihnen ist sicher klar, dass ein paar Leute sich von Ihrer Schilderung ziemlich verletzt fühlen werden«, sagte sie.
    »Verletzt?«
    »Der Ruf. Die Karriere. Diese Dinge.«
    »Dann ist es gefährlich?«
    »Möglich. Nicht immer leicht zu sagen.«
    »Was raten Sie mir?«, fragte ich.
    Lucy lächelte wieder. »Das kann ich nicht für Sie entscheiden, C-Bird. Aber ich hab Ihnen ein paar Geschenke mitgebracht, die Ihnen vielleicht dabei helfen können, zu einer Entscheidung zu kommen.«
    »Geschenke?«
    »Ich weiß nicht, wie ich das sonst nennen soll.« Sie zeigte auf einen einfachen braunen Pappkarton, der an die Wand geschoben war. Ich ging hinüber und griff hinein, um ein paar Dinge herauszuholen, die darin gestapelt waren.
    Das Erste war ein Packen große gelbe Notizblöcke. Danach kam eine Schachtel Bleistifte mit Radiergummi zum Vorschein. Darunter befanden sich zwei Dosen
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