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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt
Autoren: John Katzenbach
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angestaut hatten, so dass seine Wut keine Grenzen kannte. Ich kauerte mich auf den Boden, fühlte, wie mir seine Fäuste auf Kopf und Schultern prasselten und jeder Gefühlsregung, jedem Gedanken einen Schlag versetzten. Ich schrie, ich schluchzte, mir rannen die Tränen über die Wangen, doch egal, was ich hinausbrüllte, er war nicht im Mindesten beeindruckt. Er war unerbittlich. In jener Nacht vor so vielen Jahren hatte ich dabei geholfen, ihn zu töten, und er war jetzt hier, um Rache zu üben, und nichts und niemand konnte ihn bremsen. Ich dachte, dass es auf irgendeine perverse Art und Weise sogar passte. Es stand mir streng genommen nicht zu, diese Nacht in den Klinikschächten zu überleben, und jetzt war er gekommen, um seinen Triumph einzufordern, der in Wahrheit ihm zustand. Irgendwie, wurde mir klar, war er immer bei mir gewesen, und so hart ich auch damals gekämpft hatte und so hart ich in dieser Nacht kämpfte, hatte ich doch gegen das Dunkel, das er brachte, nie eine Chance gehabt.
    Ich wand mich, ich warf einen Stuhl quer durch den Raum auf seine gespenstische Gestalt und sah zu, wie der Holzrahmen splitterte und mit einem Krachen barst. Ich lehnte mich lauthals auf, ich dosierte die wenigen Kraftreserven, die ich noch hatte, und hoffte, dass ich in der kurzen Zeit, die mir blieb, und auf dem wenigen Platz unten an der Wand, der auf meine letzten Worte wartete, meine Geschichte zu Ende bringen konnte.
    Genau wie gestern um Mitternacht kroch ich über den kalten Boden.
    Hinter mir hörte ich energisches, forderndes Klopfen an meiner Wohnungstür. Stimmen riefen nach mir, die vertraut zu klingen schienen, nur sehr weit waren, als trennte sie eine Kluft von mir, die ich nie würde überbrücken können. Ich glaubte nicht, dass sie existierten. Ich schrie mit ganzer Kraft: »Haut ab! Lasst mich in Ruhe!«, ohne zu wissen, ob ich das wirklich rief oder es mir nur einbildete. Alle diese Dinge vermischten sich in meiner Phantasie, und die Flüche und Schreie des Engels dröhnten mir so heftig in den Ohren, dass sie alles, was jenseits dieser kleinen Fläche Wand und Boden, die ich noch bewohnte, verstummen ließen.
    Ich hatte Peter durch diesen Kellerraum gewuchtet, indem ich ihn halb trug, halb schleifte, um irgendwie von der Leiche des Killers wegzukommen, die in dem Hohlraum hinter uns liegen blieb. Ich tastete mich vor, schob Hindernisse beiseite, die uns in die Quere kamen, schleppte uns beide vorwärts, ohne recht zu wissen, ob die Richtung stimmte. Mein Instinkt sagte mir, dass jeder Schritt, den wir machten, ihn der Rettung ein Stück näher brachte, aber auch dem Tod, als wären dies zwei Linien, die auf einer großen Grafik immer mehr zusammenliefen. Sobald sie sich überschnitten, hätte ich meinen Kampf verloren, und er musste sterben. Ich hatte kaum erwartet, dass einer von uns überleben würde, und als sich jetzt unverhofft eine Tür vor mir öffnete und mir ein schmaler Lichtstrahl entgegenschimmerte, biss ich noch einmal die Zähne zusammen und stolperte ihm entgegen. Hinter meinem Kopf jaulte der Engel auf, doch das war in dieser Nacht, denn in jener war er tot, und ich griff nach der Wand und dachte, dass ich, selbst wenn ich in den nächsten Minuten sterben würde, zumindest noch aufschreiben musste, wie ich nach oben blickte und die unverwechselbare große, breite Gestalt von Big Black in dem winzigen Lichtstrahl sah, und wie seine Stimme Musik in meinen Ohren war, als er rief: »Francis? C-Bird? Bist du das da unten?«
    »Francis?«, brüllte Big Black, während er im Türrahmen zum Abstellkeller des Kraftwerks und den kreuz und quer verlaufenden, unterirdischen Heizschächten stand, sein Bruder an seiner Seite und Dr. Gulptilil knapp einen Schritt dahinter. »C-Bird, bist du das da unten?«
    Bevor er die Hand am Schalter für die einsame Glühbirne an der Decke hatte, die ein bisschen Licht auf die baufällige Treppe geworfen hätte, drang eine schwache, doch vertraute Stimme aus dem Dunkel, »Mr. Moses, bitte helfen Sie uns!«
    Die Brüder ließen sich nicht lange bitten. Der schwache Ruf, der aus der schwarzen unterirdischen Höhle drang, sagte alles. Die Moses-Brüder rannten die Treppe hinunter und liefen der Stimme entgegen, während Dr. Gulptilil, der sich widerstrebend immer noch ein wenig im Hintergrund hielt, endlich den Lichtschalter ausfindig machte und das Licht einschaltete.
    Was er im matten Schein einer vergilbten, schwachen, nackten Birne sah, brachte ihn auf Trab.
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