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Die Alpen

Titel: Die Alpen
Autoren: Albrecht von Haller
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Asche der Vergangenheit
Ist dir ein Keim von Künftigkeiten.
Unendlichkeit! wer misset dich?
Bei dir sind Welten Tag' und Menschen Augenblicke.
Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt itzt sich,
Und tausend bleiben noch zurücke.
Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,
Eilt eine Sonn, aus Gottes Kraft bewegt;
Ihr Trieb läuft ab und eine zweite schlägt,
Du aber bleibst und zählst sie nicht.
    Der Sterne stille Majestät,
Die uns zum Ziel befestigt steht,
Eilt vor dir weg, wie Gras an schwülen Sommer-Tagen;
Wie Rosen, die am Mittag jung
Und welk sind vor der Dämmerung,
Ist gegen dich der Angelstern und Wagen.
Als mit dem Unding noch das neue Wesen rung
Und, kaum noch reif, die Welt sich aus dem Abgrund schwung,
Eh als das Schwere noch den Weg zum Fall gelernet
Und auf die Nacht des alten Nichts
Sich goß der erste Strom des Lichts,
Warst du, so weit als itzt, von deinem Quell entfernet.
Und wann ein zweites Nichts wird diese Welt begraben,
Wann von dem alles selbst nichts bleibet als die Stelle,
Wann mancher Himmel noch, von andern Sternen helle,
Wird seinen Lauf vollendet haben,
Wirst du so jung als jetzt, von deinem Tod gleich weit,
Gleich ewig künftig sein, wie heut.
    Die schnellen Schwingen der Gedanken,
Wogegen Zeit und Schall und Wind
Und selbst des Lichtes Flügel langsam sind,
Ermüden über dir und hoffen keine Schranken.
Ich häufe ungeheure Zahlen,
Gebürge Millionen auf;
Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welten hin,
Und wann ich auf der March des Endlichen nun bin
Und von der fürchterlichen Höhe
Mit Schwindeln wieder nach dir sehe,
Ist alle Macht der Zahl, vermehrt mit tausend Malen,
Noch nicht ein Teil von dir;
Ich tilge sie, und du liegst ganz vor mir.
 
    O Gott! du bist allein des Alles Grund!
Du, Sonne, bist das Maß der ungemeßnen Zeit,
Du bleibst in gleicher Kraft und stetem Mittag stehen,
Du gingest niemals auf und wirst nicht untergehen,
Ein einzig Itzt in dir ist Ewigkeit!
Ja, könnten nur bei dir die festen Kräfte sinken,
So würde bald, mit aufgesperrtem Schlund,
Ein allgemeines Nichts des Wesens ganzes Reich,
Die Zeit und Ewigkeit zugleich,
Als wie der Ozean ein Tröpfchen Wasser, trinken.
 
    Vollkommenheit der Größe!
Was ist der Mensch, der gegen dich sich hält!
Er ist ein Wurm, ein Sandkorn in der Welt;
Die Welt ist selbst ein Punkt, wann ich an dir sie messe.
Nur halb gereiftes Nichts, seit gestern bin ich kaum,
Und morgen wird ins Nichts mein halbes Wesen kehren;
Mein Lebenslauf ist wie ein Mittags-Traum,
Wie hofft er dann, den deinen auszuwähren?
 
    Ich ward, nicht aus mir selbst, nicht, weil ich werden wollte;
Ein Etwas, das mir fremd, das nicht ich selber war,
Ward auf dein Wort mein Ich. Zuerst war ich ein Kraut,
Mir unbewußt, noch unreif zur Begier;
Und lange war ich noch ein Tier,
Da ich ein Mensch schon heißen sollte.
Die schöne Welt war nicht für mich gebaut,
Mein Ohr verschloß ein Fell, mein Aug ein Star, Dieses natürliche in dem ungebornen Kinde die Ohren schließende Fell habe ich in den upsalischen Abhandlungen betrieben.
Mein Denken stieg nur noch bis zum Empfinden,
Mein ganzes Kenntnis war Schmerz, Hunger und die Binden.
Zu diesem Wurme kam noch mehr von Erdenschollen
Und von des Mehles weißem Saft;
Ein innrer Trieb fing an, die schlaffen Sehnen
Zu meinen Diensten auszudehnen,
Die Füße lernten gehn durch fallen,
Die Zunge beugte sich zum Lallen,
Und mit dem Leibe wuchs der Geist.
Er prüfte nun die ungeübte Kraft,
Wie Mücken tun, die, von der Wärme dreist,
Halb Würmer sind und fliegen wollen.
Ich starrte jedes Ding als fremde Wunder an;
Ward reicher jeden Tag, sah vor und hinter heute,
Maß, rechnete, verglich, erwählte, liebte, scheute,
Ich irrte, fehlte, schlief und ward ein Mann!
Itzt fühlet schon mein Leib die Näherung des Nichts!
Des Lebens lange Last erdrückt die müden Glieder;
Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder
Der sorgenfreien Jugend zu.
Mein Ekel, der sich mehrt, verstellt den Reiz des Lichts
Und streuet auf die Welt den hoffnungslosen Schatten;
Ich fühle meinen Geist in jeder Zeil ermatten
Und keinen Trieb, als nach der Ruh!

Die Falschheit menschlicher Tugenden
An den Herrn Prof. Stähelin
1730
    Der Ursprung dieses Gedichtes ist demjenigen gleich, der das fünfte veranlaßt hat. Es ist auch eben in einer Krankheit gemacht worden, die mich eine Zeitlang von andern Arbeiten abhielt. Der Grund-Riß ist deutlicher, aber die Verse schwächer.
   
Geschminkte Tugenden, die ich zu lang erhob,
Scheint nur dem
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