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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt
Autoren: Hannes Hintermeier
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wieder. Irgendwas ist mir abhanden gekommen. Mir ist, als hätte ich etwas vergessen. Der Einkaufszettel hilft nicht weiter. Er muß aus seiner Starre, die ihn vor dem Weinregal befallen hat, aufwachen. Zurück ins Leben. Einkaufen muß Freude machen. Mit einem abrupten Ruck dreht er sich um 180 Grad und sieht die Schachtel mit den Fakes, wie Fälschungen von Fisherman’s Friend. Kann nie schaden, 1,79. Träge setzt er sich in Bewegung. Irgend etwas an der Rückenansicht der Frau vor ihm irritiert ihn. Schafsherden durchziehen unsere Discounter, mit hängenden Köpfen, ein leises Blöken bei den geschälten Dosentomaten, ein vorweggenommener Kötel vor der Kassenfrau. Was hineingeht, geht durch uns hindurch und wieder aus uns hinaus. Eine endlose Aneinanderreihung von Verdauungsprozessen. Die Reduktion des Sinnlichen auf das Organische. Die Frau wirkt wie eine schlechte Computeranimation in ihrem blinden Automatismus, Schokoladentafeln mit trägen Baggerbewegungen ins weit aufgerissene Maul des Einkaufswagens zu befördern. Die billigste Milchschokolade, nicht die weiße Crisp. Das Neonlicht läßt sie, als er sie im Profil sieht, grün und fahl aussehen. Es macht uns nicht schöner, denkt er, keinesfalls läßt uns ein Gang in diese Häuser vorteilhaft aussehen, und dennoch gehen wir immer wieder in diese Häuser hinein, weil wir gar nicht anders können, als uns aus diesen Häusern heraus zu verköstigen, uns das Lebensnotwendige, wie gesagt wird, dort zu besorgen, wo es bezahlbar und also erschwinglich für unsere schmaler werdenden Geldbörsen ist, weil der Einzelhandel, der vom aussterbenden bedrohte Tante-Emma-Laden, für unsere Geldbörsen über die Jahre zu teuer geworden ist, gehen wir hinein in diese Häuser mit den orangefarbenen Regalen und dem fahlen, alles entstellenden Neonlicht, wissend, daß es gerade diese Häuser sind, die unseren Kramerladen um die Ecke bringen, indem sie noch die billigsten Angebote so lange unterbieten, daß man an der Kasse nur noch einen symbolischen Preis zu zahlen hat, denkt er, als er der Frau nachstarrt, die mit ihrem Schafsrücken und ihrem Schafsgang soeben in die mittlere Gasse eingebogen ist. Und wie sie dort Richtung Zucker- und H-Milch-Palette verschwindet, wird ihm bewußt, daß er immer noch vor dem Rioja steht, unfähig zu entscheiden, ob er dem Spanier eine Chance geben soll; ausgerechnet dem Spanier, der auch mit Panschskandalen auf sich aufmerksam gemacht hat. Es waren ja nicht nur die Österreicher mit ihrem Glykol. Ein Räuspern dicht hinter ihm bringt ihn zurück in die Gegenwart. Er blockiert in seinem Zustand der Seinsvergessenheit, in seinem leeren Starren, den Zug der Schafherde. Und wie von einem imaginären Blindenhund – Schäferhund – angestupst, macht er sich weiter auf den Parcours. Glitzi-Spülschwamm heißt das Ziel, Dreierpack, extra stark. Mit einem Mal verändert sich die Landschaft. Die letzten Kartons ziehen auf der Linken vorbei, der abscheuliche Veltliner bleibt zurück, der Asti Spumante, die Hügel werden sanfter, nehmen einen neuen Schwung und treten heraus aus den zackigen Klüften der Flaschenbatterien. Er taucht ein in ein wattiges Drogeriemarktgefühl, in eine Nische aus Damenstrumpfhosen, Müllbeuteln, Shampoo und Nachtcreme. Bunte Spülschwämme starren ihn an. Die hat er gern, obwohl immer zu viele der leicht verschmutzenden gelben Exemplare beigemischt sind, stets zu wenig blaue, immer dominieren diese häßlichen altrosafarbenen. Alle Bewegungen, die sich mit Spültüchern verbinden, sind immer gleich. Ein weiterer Automatismus, der unsere Tage strukturiert, dessen seinsbestimmenden Einschlag wir aber in keiner Autobiographie finden: Ich bekenne, ich habe gewischt. Ich habe Geschirr gespült (wenigstens die Töpfe, wenn den Rest die Maschine erledigte; dann aber Salz nachgefüllt), ich habe die Spüle gewischt mit Spülschwämmen und Scheuermilch, ich habe die Herdplatten geschruppt mit der grünen Seite des Spülschwamms. Natürlich schreibt das keiner, das wäre Literatur aus der Arbeitswelt und röche überdies nach kleinen Leuten. Anders als das Zähneputzen, dem die Industrie mit elektrischen Zahnbürsten zu Leibe gerückt ist, hat das mechanische Wischen von Arbeitsflächen, Küchenschränken und Spülbecken noch keine elektrische Konkurrenz bekommen. Die Lüge der Backofensprays. Die Chemiekeulenlüge. Aufsprühen – und der Dreck, die Fettspritzer verfügen sich ins Nichts. Zweiter thermodynamischer Hauptsatz. Und
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