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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt
Autoren: Hannes Hintermeier
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sachliche Blicke, die erste Attacke ergebnislos. Loslassen, Discount-Buddhist, das mußt du lernen. Erkenne dich selbst, und dann das Sonderangebot. Was soll die Jagd nach irdischen Gütern, solange es keinen Sarg bei Aldi gibt. Wäre doch eigentlich eine wahnsinnige Marktlücke, die Leute würden das Zeug kaufen wie blöd. Erstens: Kann man gut einlagern. Zweitens: wird immer mal wieder gebraucht. Kostet bei Trauerhilfe-Instituten Minimum 1500 Mark, gäbe es bei Aldi bestimmt für 599, einfache Ausführung allerdings, einfach aber solide.
    Fichte, lackiert, Standardgröße, warum so elegisch heute? Praktisch denken, Särge schenken. Tod und Leben so nah beieinander. Wo Hoffnung keimt, ist das Rettende nah. Waren das wieder die Windeln, die es erst ab neun Kilo Körpergewicht gibt? Der Herr gibt’s, der Herr nimmt’s. Aber warum existieren für den Herrn Aldi keine Babys, die weniger als neun Kilo wiegen? »Trotz sorgfältiger geplanter Angebotsmengen?« Das Angebot auf Kundenseite wäre ja da: Und in den ersten Monaten kacken die Kindlein ja nicht unbedingt weniger oft als später. Wo ist denn da die unternehmerische Fürsorgepflicht? Oder bezieht sich Schnelldreher in Wirklichkeit auf Kleinkinder, weil Neugeborene sich noch nicht selbst drehen können?
    Apropos gedreht: Neulich beim Spazierengehen durch eine discounterfreie Zone Hamburgs – das Viertel war auch von allen übrigen Geschäften befreit worden, bis auf ein paar Makler und Finanzverwaltungen – war die Rede darauf gekommen, wie man es drehen könne: Nein anders, was geschehen würde, wenn Aldi echte kubanische Zigarren anböte – der Zusammenfall von Kapitalismus und Sozialismus, eine historische Schnittstelle. Weltanschauliche Bedenken auf Seiten der Aldi-Einkäufer gäbe es bestimmt nicht, aber Lieferschwierigkeiten auf Seiten der Kubaner, die solche Mengen nicht beschaffen könnten. Während der Zellstoff nicht versiegen will. Die Küchenrolle, das überflüssige Wesen. Der ökologische Overkill, nix Zewa-wisch-und-weg, no name, dafür billig und genauso hinfällig. Diese Zellstoffecke, denkt er, hat mir noch nie gutgetan; bis auf die Servietten (nullnoinunnoinzig) ist das immer unsinnlich. Aber was heißt schon sinnlich in dieser Bude, mit Sex wird hier eh nichts verkauft, schon die Models auf den »Aldi informiert«-Anzeigen, falls jemals welche drauf sind, sehen immer aus wie ein jüngerer Klon von Carolin Reiber – als hätten sie noch nie etwas von unterschiedlichen Chromosomensätzen gehört. Das ist züchtig, und beim Aldi, da gibt’s koa Sünd’. Erotik der Adenauerzeit. Alles prüde in Weißblechdosen gebannt, eingeschweißt und hinter PE-Folie kondomisiert. Die riesigen Salami-Dildos, solche Brummer, daß die ganze Familie eine Woche dran nagen könnte! Aus welcher Fleischfabrik die wohl kommen? Warum ausgerechnet da so zimperlich? Weil ihn im Geiste plötzlich Tiere ansehen. Aus den Schlachtviehtransportern, aus den Schlitzen der Lkw-Seitenwände, die die Tiere zu ihrer Endlösung fahren. Das Wort »Endlösung« ist verboten. Hat ja alles nichts genutzt, denkt er, all die Berichte, der ganze BSE-Wahn, Schweinepest; die Leute fressen das Zeug weiter, du auch, weniger als früher, aber dennoch noch immer. Geben Vegetarier so abschreckende Beispiele? Na gut, manche sind die Pest, Berufsmissionare, faulig schimmelnde Heiligenscheine über dem gasig dunstenden Haupt. Verfluchtes Fressenmüssen, »Eckzahn homo«, sagt der Dichter. Aber Dichter haben bei Aldi nichts verloren. Hier ist die Stätte der Pragmatiker. Hier kaufen die, die rechnen müssen oder rechnen können. Beide verbindet eine unheilige Allianz: Es hätte anders kommen sollen, aber da es nun einmal so ist, gehen wir durch dieses Fegefeuer und reinigen uns für das jüngste Gericht: Nudelfertiggericht, 1,49. Neulich wieder einen getroffen, der ganz verwundert sagte: »Äh, Aldi, äh, wie ist das denn da? Ich war noch nie dort.« Was fehlt einem, der noch nie bei Aldi war? Welchen Ausschnitt bundesdeutscher Wirklichkeit kennt ein solcher nicht? War der Pfälzer Riese, der Oggersheimer, jemals bei Aldi? Wie sähe die Politik aus, wenn die Koalition regelmäßig bei Aldi einkaufen würde; die Vorstandsvorsitzenden Schrempp, von Pierer, Wössner, Sommer. Ich stelle mir vor: Porsche-Chef Wendelin Wiedeking fährt mit einem 911er Turbo zu Aldi und versucht, einen Standardeinkauf in seinem Gefährt unterzubringen. Geht nicht. Am Montag überrascht er seinen Stab mit dem Vorschlag,
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