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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt
Autoren: Hannes Hintermeier
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leidenschaftslos, präzise und schnell, holt ihn die Wirklichkeit aus diesem Tagalptraum zurück. Er hat sich quergestellt, hat den Weg der Arbeiterameisen zum Ausgang blockiert. Das ist nicht der Platz zum Träumen, das ist das Schlachtfeld, die buying fields, wer jetzt nichts kauft, wird lang alleine bleiben, wird in den Warengassen unruhig wandern, wenn die Kartonagen treiben. Und bräche nicht aus allen diesen Regalen ein Ruf: Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
    Das gewendete Dasein. Das Niemals-mehr-in-eine-Aldi-Filiale-eintreten-Müssen. Aber was sollten diese Allmachtsphantasien hier? Friß oder stirb, kauf oder verdirb. Du bist nicht hier, um klugzuscheißen. Kauf dein Zeug und sieh zu, daß du den Parkplatz räumst. Das hier ist eine Demokratie. Du bist nicht allein. Du bist nur ein »Arschgesicht« (Ludwig Wittgenstein) unter Millionen. Was bildest du dir ein? Konsumwichtel! Münzenlecker! Und noch einmal, kurz vor der Steilkurve in die Konservenwand, die Stimme des Stammtischphilosophen: »Wahrheit? – War heid a Gschäft?« Ja, hier drin ist immer Geschäft, egal was sie draußen behaupten, an 52 mal sechs Tagen des Jahres (abzüglich konsumverhindernder Feiertage), bei Aldi ist immer Weihnachten, denkt er, als er sich der Bananenpalette nähert. Das Ding ist fast mannshoch, ein ideales Brotzeitformat für King Kong. Bananen sind Hirnnahrung, hatte die Mutter immer gesagt. Ja früher, da waren aber auch Nüsse noch Hirnnahrung, später machten sie dann plötzlich nur noch dick, vor allem in der gesalzenen Variante. Aldi-Bananen scheren sich nicht darum, ob sie euro- oder feindliche südamerikanische Kühlschiff-Importbananen sind, Aldi-Bananen sind immer gelb und eingeschweißt und superbillig. Jäher Erkenntnisschub beziehungsweise überfallartige Gewißheit: Es muß einen Zusammenhang zwischen Staatswesen und Konsumverhalten geben. Er nimmt sich vor, die Herkunft des Wortes »Banane« nachzuschlagen. Nix doitsches, bestimmt. Wieso dann Bananenrepublik. Deutschland ist keine Bananenrepublik, hat der Dicke irgendwann gesagt, er erinnert sich genau, weil sich der Dicke damals so aufgeregt hat. Über die Birne, als die man ihn jahrelang verspottet hatte, hat er sich auch aufgeregt, aber nichts gesagt, weil er die Birne lieber ausgesessen hat. Merkwürdigerweise hat kein Mensch behauptet, wir seien eine Birnenrepublik beziehungsweise eine Kohlrepublik (Weißkohl, Grünkohl, Rotkohl, nirgends ein Schwarzkohl) – es mußte diese auswärtige Frucht her, die es doch bestimmt erst nach dem Krieg gegeben hat. Daraus folgt doch zwingend, denkt er, einen in reißfestes Plastik geknebelten Bananenfächer unauffällig durch Fingerspitzendruck prüfend, daß die Entwicklungen in diesem unseren Staate neueren Datums sein müssen. War die ehemalige Bundesrepublik eine Bananenrepublik gewesen, oder kam die Krümmung erst durch die Übernahme der fünf neuen Länder? Oder war das Kaiserreich möglicherweise auch schon eine Bananenrepublik? Kann eigentlich nicht sein, Reiche eignen sich offenbar nicht, bananoide Züge anzunehmen. Obwohl er darauf wetten würde, daß Augstein höchstselbst Wilhelm Zwo vom Bananisierungsvorwurf reinwaschen würde. Andererseits: Hitler war Vegetarier. Wo im Reich hätte aber die doitsche, die urdoitsche Banane gedeihen können? Höchstens auf der Insel Mainau im Bodensee, das hätte nie zur Volksbanane gereicht. Hitler? Bananen? Hirnnahrung? Gaubanane! Volksbanane! Eurasische Vollbanane! – Zum Glück gab es gleich nebenan, in der nächsten Schachtel, israelische Avocados, das rückte ihm die Sache wieder zurecht, das war gelebte Demokratie. Aber eben eine mit ein paar faulen Stellen, braunen Flecken. Nicht zu fassen, man müßte diesen Innen- und Außen- und Rundumminister, diese Abschiebefreaks und Globalisierungsaffen einmal einen Monat mit einem Sozialhilfesatz ausrüsten und zum Einkaufen schicken. Woher diese plötzliche, hochsommerliche Melancholie? Aus der Einsicht, daß die eingeschweißte Banane in einer zweiten Realität existierte, verborgen hinter einer Klarsichthülle, ihren Warencharakter, den wahren Charakter verbergend. Wußte doch jeder, wie so ein Bananenplastikbündel zustande kam. Er hatte es selbst gesehen, auf einem seiner welttouristischen Streifzüge, in einer mittelamerikanischen Bananenrepublik, im sogenannten Vorhof der USA, im Drogendurchgangsland, das sich nach außen mit den Bananenexporten arm, aber aufrecht gab.
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