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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Autoren: Kai Meyer
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ja«, beendete er ihren Satz. »Sicherer zumindest als hier bei uns.«
    Einige Atemzüge lang schloß Aura die Augen, um ihre Beherrschung zurückzugewinnen. »Was sucht er im Schloß? Die Kinder?«
    »Nein«, sagte Lysander kopfschüttelnd. »Die Kinder sind ihm im Augenblick noch gleichgültig. Sonst hätte er nie zugelassen, daß du Tess aus Wien fortbringst.«
    »Was sucht er dann?«
    »Das Kraut, Aura. Das Kraut auf Nestors Grab.«
    »Dann ist es wahr? Das Gilgamesch-Kraut wächst nur auf den Gräbern der –«
    »Auf den Gräbern der Unsterblichen. So ist es.«
    »Das war das neue Rad, nicht wahr?« Auras Stimme klang heiser, klang kränklich. »Die Botschaft bedeutete gar nicht, daß Sie den Stein der Weisen bereits besaßen – sondern nur, daß Sie endlich den Weg kannten, um in seinen Besitz zu gelangen.«
    »Morgantus hat es herausgefunden«, sagte Lysander. »Er fand den Hinweis in einer Schrift aus dem alten Judäa, vor etwa acht Jahren. Unsterblichkeit gedeiht nur aus Unsterblichkeit – das war der Schlüssel, nach dem wir alle so lange gesucht hatten. Nur aus den Überresten eines Unsterblichen erwächst neue Unsterblichkeit.«
    »Deshalb mußte mein Vater sterben! Er war neben Ihnen und Morgantus der einzige andere Unsterbliche. Sie ließen ihn von Gillian ermorden, um das Kraut von seinem Grab ernten zu können.«
    »Nach sieben Jahren, ja.«
    »Aber warum erst jetzt? Die sieben Jahre sind schon lange abgelaufen.« Und im stillen dachte sie: Sie waren es schon, als ich das Kraut benutzte. »Warum ist Morgantus nicht früher gekommen?«
    »Er war – nun, man könnte wohl sagen, daß er krank war. Sehr krank. Seit Jahrzehnten leidet er unter Schwächeanfällen. Anfangs dachte ich, das sei der Beweis; das Elixier sei nicht perfekt, es verlängere das Leben eine Weile, nur um uns schließlich doch sterben zu lassen. Ich habe oft Angst gehabt, damals – bis mir schließlich gleichgültig wurde, ob ich lebte oder starb. Aber Morgantus starb nicht. Meist verfiel er nur in eine Art Scheintod, um ein, zwei Tage darauf wieder zu erwachen, lebendiger und kraftvoller denn je. Ich nehme an, es handelt sich um eine Art Regeneration, wie ein Winterschlaf, den die Wirkung des Elixiers verursacht. Es muß mit seinem Alter zu tun haben. Irgendwann hätten Nestor und ich vielleicht das gleiche durchgemacht, wenn wir uns nicht entschieden hätten, das Elixier abzusetzen. Morgantus war immer wieder für Tage, Wochen, manchmal sogar Monate ans Bett gefesselt.«
    »So wie in Wien?«
    »Ja. Er wußte, daß es ihm bald bessergehen würde, aber er ahnte auch, daß du annehmen mußtest, daß es mit ihm zu Ende ging. Vielleicht kennt er dich besser als du denkst, Aura. Er war sicher, daß du einen sterbenden alten Mann nicht ermorden würdest.«
    »Mein Fehler.«
    »Er glaubte, er könnte dich endlich loswerden – dich und deine Nachfahren –, indem er einmal mehr meine Identität annahm, um als Lysander zu sterben. Während er mich und Sylvette hier im Kloster einkerkern ließ, kurierte er in Wien in aller Ruhe seine Schwäche aus.«
    »Ich muß zurück nach Hause«, entschied Aura. »Sofort.«
    Ein fahles Lächeln huschte über Lysanders Züge. »De Dion wird dich nicht fortlassen. Du bist jetzt eine Gefangene wie wir.« Wieder klopfte er mit dem Stock auf den Boden, fast als könne das sein Denken beschleunigen. »Aber ich glaube nicht, daß Morgantus den Kindern ein Leid antut. Ihm geht es nur um das Gilgamesch-Kraut.«
    Sylvettes Stimme war voller Sorge, als sie einwarf: »Morgantus ist wahnsinnig. Er ist unberechenbar.«
    »Wahnsinnig ist er gewiß«, sagte ihr Vater, »aber nicht dumm. Und er glaubt, zumindest für Tess noch Verwendung zu haben. Für ihn ist sie der Garant meiner Unsterblichkeit.«
    »Warum sucht er sich nicht einfach einen anderen Gehilfen?« fragte Aura, die sich mühsam zur Ruhe zwang. »Warum diese Fixierung auf Sie, wo Sie ihn doch derart enttäuscht haben?«
    »Tötet ein Vater seinen Sohn, nur weil er die Schulaufgaben nicht macht?«
    »Aber er ist nicht Ihr Vater!«
    »Siebenhundert Jahre Gemeinsamkeit bedeuten mehr als das Erbe einiger Körpersäfte.«
    »Warum hat er zusätzlich die Mädchen im Internat umgebracht?«
    Lysander schüttelte den Kopf. »Morgantus hat Angst. Er hat ein Leben lang nur Angst gehabt. Selbst nach all den Jahrhunderten hat er der Wirkung des Elixiers immer mißtraut. Die Aussicht, sieben weitere Jahre auf das Kraut warten zu müssen – ohne zu wissen, ob der
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