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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Autoren: Kai Meyer
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ihn.
    »Irgendwelche besseren Vorschläge?« fragte Aura gereizt.
    Als weder Lysander noch Sylvette eine Antwort gaben, blickte sie hinauf zum Loch in der Decke. Es war viel zu hoch, um von hier unten heranzukommen.
    »Wie viele Männer gibt es im Kloster?« fragte sie schließlich.
    »De Dion und zwei Wächter.«
    »Sonst keinen? Nur diese drei?« Das klang zu unglaublich, um wahr zu sein.
    Lysander sagte mit einem Schulterzucken: »Alle anderen sind mit Morgantus fortgegangen. Es waren ohnehin nicht mehr viele, zehn oder elf.«
    »Sylvette«, sagte Aura, »du hast mir erzählt, de Dion bringe euch die Kerzen gleich kistenweise herauf.«
    »Das stimmt.«
    »Hast du das wörtlich gemeint? Bringt er euch tatsächlich Kisten?«
    »Einmal in der Woche, ja.«
    »Und die Kisten läßt er hier?«
    »Als Brennholz für den Winter, hat er gesagt. Wir haben jede Menge davon.« Sylvette deutete in den dunklen Gang hinter Lysanders Rücken, den einzigen, in dem keine Kerzen brannten, offenbar aus Sorge, das Holz könnte Feuer fangen.
    Auras Aufregung wuchs, als sie an der Öffnung vorbei in die Mündung des finsteren Korridors trat. »Ihr habt sie doch nicht zerschlagen, oder?«
    »Bestimmt nicht alle.«
    Lysander legte Aura eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, was du vorhast. Aber es ist sinnlos. Die Kisten sind aus dünnem Holz, nicht stabil genug.«
    Aura hörte kaum, was er sagte. Sie konnte nur auf seine Finger blicken, die sich knöchern um ihre Schulter krallten – wie fleckige Krabbenbeine. Abermals stieg Übelkeit in ihr auf. Sie hatte sich noch immer nicht völlig an die Nebenwirkung des Gilgamesch-Krauts gewöhnt, und jetzt überkam sie sie noch einmal mit aller Macht.
    Ruckartig riß sie sich los und gab ihrer Schwester einen Wink.
    Bald darauf hatten sie und Sylvette vier der Kisten an den Rand des Lochs getragen, die letzten, die noch nicht zu Brennholz verarbeitet waren. Lysander hatte recht; das Holz war dünn, nicht hart genug, um einen Menschen länger als wenige Sekunden zu tragen. Trotzdem mußten sie es versuchen.
    Sie stapelten die vier Kisten übereinander, mit den Öffnungen nach unten. Sie reichten Aura bis zur Schulter. Von der obersten waren es nur noch anderthalb Meter bis zum Loch in der Decke. Dennoch war die Hoffnung, daß sie es tatsächlich alle drei hinauf schaffen würden, denkbar gering. Nicht nur, daß es schwierig genug war, auf den wackligen Kistenturm zu steigen – seine Kante stand zudem nur einen Fingerbreit von der Bodenöffnung entfernt. Hinzu kam, daß die beiden Löcher sich genau übereinander befanden, so daß derjenige, der auf den Kisten stand, sich weit über den Abgrund beugen mußte, um den Rand der Deckenöffnung zu erreichen.
    Lysander hatte weitere Einwände, doch diesmal war es Sylvette, die ihn anfuhr, er möge still sein.
    Aura nahm ihre Schwester bei der Hand. »Du gehst als erste. Ich halte dich fest, so gut ich kann.«
    Die Angst in Sylvettes Augen war nicht zu übersehen, dennoch nickte sie entschlossen. Die Schwestern umarmten sich lange, und abermals schoß ein heißer Schub durch Auras Körper. Sie würde niemals zulassen, daß Sylvette etwas geschah.
    Sylvette wandte sich den Kisten zu, legte beide Hände auf die obere Kante und suchte mit dem linken Fuß nach Halt in den Zwischenräumen der Holzlatten. Die ganze Konstruktion knirschte und ächzte, als sie sich emporzog. Aura hielt sie von hinten an der Taille fest und bemerkte erschrocken, wie dünn und ausgemergelt Sylvettes Körper sich unter dem Kleid anfühlte. Trotzdem war es gerade ihr kläglicher Zustand, der ihr jetzt zugute kam; zwar schwankten die Kisten bei jeder Bewegung vor und zurück, doch Sylvettes Fliegengewicht schienen sie standzuhalten.
    Innerhalb weniger Augenblicke hatte Sylvette die höchste Kiste erreicht. Um sich dort oben aufzurichten, mußte Aura sie kurzzeitig loslassen. Das Knirschen der Kisten wurde durchdringender, der ganze Turm wackelte gefährlich. Wenn er jetzt nachgab, würde Sylvette unweigerlich in den Abgrund stürzen.
    Der Schweiß rann Aura in Strömen übers Gesicht. Sie wischte sich mit der Hand über die Augen. Lysanders Atem war zu einem röchelnden Schnaufen geworfen, während Sylvette sich ganz langsam aufrichtete, sich sachte über den Abgrund beugte, Kopf und Schultern durch die Deckenöffnung streckte – und sich mit beiden Händen nach oben stemmte! Sekunden später kauerte sie auf dem Dach und schnappte bebend nach Luft, während der Wind ihr langes
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