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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Köhlmeier
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wir nur ein Wort sagen. Moma lachte – ich habe es gehört und habe mitgelacht – und sagte, es gebe, wenn sie sich nicht irre, drei Männer in ihrem Verein, einen gewissen Janko Kollár, einen gewissen Lajos Szánthó und einen gewissen Zsolt Dankó, ob es möglich wäre, jedem von den dreien eine Kugel in den Kopf zu schießen. Die Offiziere lachten – ich habe es gehört und habe mitgelacht – und versprachen, sie würden schauen, was sich machen lässt. Mir schenkten sie ein buntes Windrädchen und setzten mich auf die Kühlerhaube ihres schwarzen Pobeda und fuhren mit mir ein Stück die Báthory utca hinunter bis zum Parlament, schnell genug, damit sich die kleinen roten, blauen und gelben Schaufeln drehten, vorbei an der Bäckerei von Ferenc Juhász, der in seiner weißen Schürze auf dem Gehsteig stand und staunte. Meine Mutter lief schreiend daneben her, gab aber bald auf, weil ihr die Luft ausging.
    Es war eine gemütliche Zeit. Wir saßen im Salon zusammen, die Betten von Moma und Opa hatten wir in einer lustigen Aktion aus dem Schlafzimmer herübertransportiert, weil Opa nur mit Mühe aufstehen und herumgehen konnte. Er trank Unmengen Wasser. Es waren ihm im Gefängnis nur versalzene Speisen angeboten worden. Der große Durst blieb ihm bis an sein Lebensende. Man stelle sich vor, Opa war verwechselt worden! Man hatte geglaubt, er sei ein Jude! Das erzählte uns Major Hajós und entschuldigte sich dafür in aller Form und mit seltenen Nahrungsmitteln. Er lebte allein, hatte keine eigene Familie, mit seinem Bruder war er verfeindet; er sei oft sehr, sehr einsam, klagte er; deshalb besuchte er uns zwei- bis dreimal in der Woche, setzte sich immer auf denselben Sessel, als wäre er ein Freund des Hauses. Von den Kollegen werde er der »Marder« genannt – »Nyest«; er verriet uns aber nicht, wie er zu diesem Spitznamen gekommen war. Ein Marder sei doch ein sehr schönes Tier, die Menschen müssten ihn nur einmal von der Nähe betrachten, was in der Natur zugegebenermaßen nicht ganz leicht sei, aber es gebe ja auch ausgestopfte Exemplare, zum Beispiel im Museum am Ludovika Platz. Man habe, erzählte er, eigentlich Dr. Benedikt Lázló, den Chefarzt des Krankenhauses der Pester Israelitischen Glaubensgemeinschaft, verhaften wollen, aber weil das andere Kollegen bereits getan hätten und es unerfreulich gewesen wäre, mit leeren Händen dazustehen, sei der Genosse Oberstleutnant János Tárnoki von der HA Technik auf die Idee gekommen, in der Semmelweisklinik nachzusehen, dort sei gemäß seinen Unterlagen ein gewisser Dr. Daniel Eisenberger als Internist beschäftigt, und nachdem der Verräter Gábor Péter von Geburt her auch ein Eisenberger sei, und zwar ein Benjamin, habe man gedacht, es könnte sich bei dem Arzt zum Beispiel um einen Bruder desselben und also wahrscheinlich um ebenfalls einen amerikanisch-zionistischen Agenten handeln. Leider hätten sich die Genossen Kollár, Szánthó und Dankó, die, wie wieder einmal bestätigt, nicht die Zuverlässigsten seien, im OP geirrt und aus Versehen den völlig unschuldigen und in jeder Hinsicht korrekten Genossen Dr. Ernö Fülöp verhaftet. Mein Großvater wollte sagen, dass er höflichst darum bitte, nicht Genosse genannt zu werden; er kam aber nicht dazu, jedenfalls nicht zu Ende damit, denn Moma fiel ihm um den Hals und küsste ihn so leidenschaftlich auf den Mund, dass sich Major Hajós glücklich seufzend umdrehte und meiner Mutter und mir zuzwinkerte.
    »Wir sprechen nicht über Politik«, sagte Moma, »wir kümmern uns nicht um den Zustand der Welt.«
    »Sehen Sie«, sagte Major Hajós, »bald bin ich auch so weit. Sie sind mein Vorbild, Frau Fülöp-Ortmann! Das dürfte eigentlich nicht sein. Ich bin Geheimdienstmann, ich bin ein Tschekist, einer von den guten alten. Ein Tschekist hat, wenn überhaupt, nur ein Vorbild zu haben: Feliks Edmundowitsch Dzierzynski, den gütigen Vater des mächtigsten Geheimdienstes, den die Welt je gesehen hat, er möge mir vergeben, Gott hab ihn selig. Was rede ich da! Sehen Sie, Sie bringen mich von meinem Weg ab, Frau Fülöp-Ortmann!«
    Da erschrak meine Moma und wurde weiß, und mein Großvater hielt seinen Arm vor sie, wie der Fahrer eines Automobils es tut, wenn er plötzlich bremst und seine Beifahrerin schützen möchte.
    Aber Major Hajós lachte, lachte so heftig, dass alle Luft aus ihm wich und er am Ende nur noch piepste.
     
    Es war auch eine fröhliche Zeit. Wir verließen nur selten die Wohnung, das
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