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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Autoren: Robin Hobb
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mit einer bestimmten Kreatur in Verbindung zu bringen. Er fügte hinzu, dass auch Flink bei seinen Studien davon profitiere, unbelastet zu sein, woraus ich schloss, dass der Unterricht des Jungen ebenso fortgesetzt wurde wie meiner. Wenn er bei mir war, konzentrierte sich Web darauf, mir zu zeigen, wie alle Lebewesen über die Ute Macht miteinander verbunden waren, nicht nur jene vom Alten Blut, sondern alle. Er zeigte mir, wie er seine Alte Macht ausdehnte und sie um Dick schlang, um dessen Gefühlen und Bedürfnissen gewahr zu werden, ohne das Dick etwas davon bemerkte. Das war keine leicht zu meisternde Aufgabe, denn es bedeutete, meine eigenen Bedürfnisse und Interessen zurückzustellen. »Beobachte eine Mutter mit ihrem Kind«, sagte Web, »irgendeine Mutter, egal, ob Mensch oder Tier. Dort wirst du so etwas auf der einfachsten und instinktivsten Ebene sehen. Ist man bereit, daran zu arbeiten, kann man die gleiche Art von Wahrnehmung auch auf andere ausdehnen. Das ist ausgesprochen lohnend, vermittelt es einem doch ein Verständnis für andere, das Hass nahezu unmöglich macht. Nur selten kann man jemanden hassen, wenn man ihn versteht.«
    Ich bezweifelte, dass ich je über ein solches Maß an Verständnis verfügen würde, aber ich versuchte es. Eines Abends, als ich mit Chade und Pflichtgetreu in deren Zelt aß, versuchte ich, meine Alte Macht so weit auszudehnen, dass sie auch Chade umhüllte. Ich verdrängte meinen Hunger, meinen schmerzenden Rücken und auch meinen Kummer ob des Verlustes meiner Gabe und konzentrierte mich stattdessen auf den alten Mann. Ich sah ihn genauso klar und deutlich, als wäre er Beute. Ich studierte, wie er saß, den Rücken gerade, als wäre er zu steif, um in sich zusammenzusacken, und wie er die Handschuhe anließ, während er sich den fahlen Brei in den Mund schaufelte, der unser Abendmahl darstellte. Sein Gesicht war von Kontrasten geprägt: rote Nase und Wangen, aber eine von der Kälte bleiche Stirn. Dann, als würde ich zum ersten Mal seinen Schatten sehen, bemerkte ich eine Einsamkeit hinter ihm, die bis zu seiner frühesten Kindheit zurückreichte. Plötzlich fühlte ich all seine Jahre und das seltsame Schicksal, das ihn in hohem Alter zusammen mit einem Jungen, den er zum König machen würde, auf einen Gletscher gesandt hatte.
    »Was?«, verlangte Chade plötzlich von mir zu wissen. Ich erschrak und bemerkte, dass ich ihn wohl offen angestarrt haben musste.
    Rasch suchte ich nach einer Antwort und erwiderte dann: »Ich habe gerade an all die Jahre gedacht, die ich dir gegenüber gesessen habe, und mich gefragt, ob ich dich je wirklich gesehen habe.«
    Chades Augen wurden größer, fast, als fürchte er solch einen Gedanken. Dann runzelte er die Stirn. »Und ich hatte gehofft, du hättest etwas Nützliches im Sinn. Nun, ich habe über Folgendes nachgedacht: Sieber und Hest sind noch nicht mit dem Nachschub zurückgekehrt, obwohl sie schon längst wieder hier sein sollten. Heute habe ich Web gebeten, seinen Vogel nach ihnen suchen zu lassen. Er hat gesagt, es sei schwer, ihr klar zu machen, dass sie zwei spezielle Menschen suchen solle; genauso wie es uns schwer fallen würde, zwei spezielle Möwen zu suchen. Deshalb hat er sie gebeten, nach zwei Männern mit einem Schlitten Ausschau zu halten. Laut seinen Worten hat Risk jedoch nichts gefunden.« Chade schüttelte den Kopf. »Ich befürchte das Schlimmste. Wir müssen jemanden zurückschicken - nicht nur, um nach Sieber und Hest zu suchen, sondern auch, um den Nachschub zu holen, den wir benötigen. Langschopf hat mir heute Abend berichtet, dass wir noch für vier Tage Proviant haben, für fünf, wenn er noch einmal die Rationen kürzt.« Müde rieb er sich die behandschuhten Hände. »Ich habe nie gedacht, dass es so lange dauern würde, den Drachen auszugraben. Allen Berichten nach zu urteilen, die uns zur Verfügung standen, lag er dicht an der Oberfläche; vor einigen Jahren war er sogar noch sichtbar. Doch wir graben und graben und finden nichts.«
    »Er ist da«, versicherte ihm der Prinz, »und jeden Tag kommen wir ihm näher.«
    Chade schnaufte. »Und wenn ich jeden Tag einen Schritt Richtung Süden machen würde, würde ich Bocksburg näher kommen, aber niemand könnte sagen, wie lange ich bis dorthin brauchen würde.« Mit einem Stöhnen stand er auf. Auf der kalten Erde zu sitzen, selbst mit mehreren Decken darunter, war ihm offensichtlich unangenehm. Langsam ging er in dem vollgepackten Zelt herum und
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