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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Autoren: Oliver Jahraus
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Oswald von Wolkenstein auch noch Dichter und Komponist war, dass er 134 Lieder hinterlassen hat, zu denen er partiell auch die Melodien komponierte und die sich durch eine kraftvolle Sprache und einen nicht gekannten Bilderreichtum und eine geradezu plastische Anschaulichkeit auch derber Situationen auszeichneten. Man kann sehen, wie sehr sich Oswald von Wolkenstein doch von der spätmittelalterlichen Lyrik, insbesondere dem Minnesang, absetzt und dabei vor allem die sehr starren Formen aufbricht. Seine Texte sind stark autobiographisch. Immerwieder greift er auf sein Leben, seine Geschichte, seine Erlebnisse zurück, um sie in Literatur und in Lieder zu verwandeln. Oswald von Wolkenstein spricht von sich, wenn er dichtet. Und insofern ist die Formel
Ich Wolkenstein
, die Dieter Kühn als Titel seiner wunderbaren Rekonstruktion einer Biographie Oswald von Wolkensteins verwendet hat, geradezu Programm. So verfasst er im Jahr 1416 eine Lebensballade, in der er sein Leben Revue passieren lässt: «Erzählen, was ich alles litt, das führte wohl zu weit», heißt es im Text. Ganz deutlich wird, wie er das Minnemodell überhaupt nicht akzeptieren will und darauf sinnt, die Frau auch erotisch zu erobern. Dieses Gedicht ist eine Lebensbilanz voller Vitalität und Emotionalität. Aber es ist gleichzeitig kein normgerechter, sondern ein eigener und eigenwilliger Lebensverlauf. Und das ist das eigentlich Neue am Werk Oswald von Wolkensteins. Zum ersten Mal werden Leben und Werk tatsächlich in ein enges, wechselseitiges Bedingungsverhältnis gestellt. Nur ein solches Leben kann in Literatur ausgedrückt werden, und Literatur ist dazu da, ein solches Leben auszudrücken.
    12. Welche Geheimnisse hat Meister Eckhart? Mit der Zeit haben sich eigentümliche Vorstellungen über das Wesen der Mystik ausgebildet, wie man sie beispielhaft an dem landläufigen Ruf des Meisters Eckhart nachverfolgen kann. Rückt man sie in die Nähe von Alchimie und Esoterik, sitzt man einem grundlegenden Missverständnis auf. Der Begriff der Mystik kommt aus dem Altgriechischen und geht auf den Begriff für Geheimnis zurück, wie er heute noch im Begriff des Mysteriums vorhanden ist. Mystik meint jedoch lediglich eine Auseinandersetzung mit dem Geheimnisvollen, die deswegen noch lange nicht selbst geheimnisvoll sein muss. Blickt man auf Meister Eckhart, so kann man an seinen Gedanken erkennen, dass er sich gerade um das Verhältnis von Vernunft und Geheimnis gekümmert hat. Und das geradezu beruflich. Er wurde ca. 1260 in der Nähe von Gotha geboren und starb vermutlich am 28. Januar 1328. Dieses Leben, das sich durchaus den Geheimnissen gewidmet hat, hat wenig Geheimnisvolles an sich. Selbst sein Name – offiziell hieß er Eckhart von Hochheim – lässt sich leicht erklären. Dieses «Meister» ist schlicht und einfach ein akademischer Grad: der Magister. Denn Meister Eckhart war ein Wissenschaftler, wenn auch im mittelalterlichen Verständnis. Sein Weg in diese Wissenschaft führte ihn über die Kirche und insbesondere über eine theologische Ausbildung, die er bei denDominikanern erhielt. Auf dieser Grundlage startete er eine wissenschaftliche Karriere, die ihn an eine ganze Reihe namhafter europäischer Universitäten des Mittelalters führte. Seinen Magister erwarb er 1302 in Paris, danach war er in Sachsen, Böhmen, Straßburg und Köln tätig.
    Eckhart ist also kein Mystiker im landläufigen Sinn, aber ob man ihn trotz seiner Ausbildung einen Philosophen nennen sollte, ist fraglich. Denn Eckhart ging es nicht um eine akademische Philosophie. Von den Texten, die von ihm in lateinischer und überwiegend in deutscher Sprache überliefert sind, sind wiederum die meisten Predigten – nicht im Sinne einer abstrakten Gattung, sondern aus einem konkreten liturgischen Kontext stammend. Das größte Geheimnis für Eckhart ist in seiner Zeit und in seinem ideologischen Kontext natürlich Gott. Und daraus leitet sich die Frage ab, an der sich Eckhart, aber ebenso, wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung, die gesamte mittelalterliche Scholastik abarbeitet, wie denn Gott erkannt oder gedacht oder begriffen werden kann, wenn doch das Erkennen, das Denken, das Begreifen gerade vor Gott haltmachen muss.
    13. Kann man den Tod vor Gericht stellen? Der Gerichtsprozess ist deswegen als dramaturgische Struktur so beliebt, weil er es ermöglicht, Konflikte zu ‹verhandeln› und ihrer Darstellung eine stringente Form zu geben. Ein solches Beispiel finden wir schon
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