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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora
Autoren: Greg Egan
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Netzwerken, doch wenn sie zu häufig benutzt wurden, bemerkten es andere Shaper und konstruierten entsprechende Verbindungen. Es spielte keine Rolle, daß diese ersten Datenströme ohne Bedeutung waren. Beliebige Signale genügten, um bei der Konstruktion der Maschinerie des Denkens auf dem niedrigsten Niveau behilflich zu sein.
    In vielen Poleis wuchsen gar keine neuen Bürger heran, sondern wurden direkt aus vorgegebenen Subsystemen zusammengestellt. Die Konishi-Methode jedoch garantierte eine gewisse quasi-biologische Robustheit, eine gewisse Nahtlosigkeit. Gleichzeitig wachsende Systeme, die während ihrer Bildung interagierten, lösten die meisten ihrer Defekte aus eigener Kraft, ohne daß ein externer Mentalkonstrukteur notwendig war, der alle fertigen Komponenten aufeinander abstimmte, um zu gewährleisten, daß sie sich nicht gegenseitig störten.
    Trotz all dieser organischen Plastizität und Kompromißfähigkeit konnten die Infrastrukturfelder dennoch Gebiete für eine Handvoll standardisierter Subsysteme abstecken, die für jeden Bürger identisch waren. Zwei davon waren Kanäle für hereinkommende Daten – einer für Gestalt und einer für Linear, die zwei primären Modalitäten aller Konishi-Bürger – ferne Abkömmlinge des Sehens und Hörens. Mit der zweihundertsten Iteration des Waisenkindes waren diese Kanäle voll ausgebildet, doch die inneren Strukturen, an die sie ihre Daten weitergaben, die Netzwerke, die diese Daten klassifizierten und ihnen Bedeutung gaben, waren noch unentwickelt und unerprobt.
    Die Konishi-Polis selbst lag zweihundert Meter tief unter der sibirischen Tundra, doch über Kabel und Satellit konnten die Kanäle Daten mit jedem Forum innerhalb der Polis-Koalition austauschen, genauso mit Sonden, die jeden Planeten und jeden Mond des Sonnensystems umkreisten, mit Drohnen, die die Wälder und Ozeane der Erde durchstreiften – von zehn Millionen Quellen verschiedener konkreter oder abstrakter Sinnesdaten. Das erste Problem der Wahrnehmung bestand darin zu lernen, aus dieser Überfülle auszuwählen.
    In der Psychoblastula des Waisenkindes begann der halb ausgebildete Navigator, der mit den Kontrollen der Input-Kanäle verbunden war, einen Strom von Anfragen nach Informationen auszugeben. Auf die ersten paar tausend Anfragen erfolgte lediglich ein monotoner Strom aus Fehlermeldungen, weil ihre Syntax fehlerhaft war oder sie auf nicht vorhandene Informationsquellen zugreifen wollten. Doch jede Psychoblastula besaß die angeborene Neigung, irgendwann die Bibliothek der Polis zu finden (wenn nicht, hätte es Jahrtausende beansprucht), und der Navigator versuchte es so lange, bis er eine gültige Adresse gefunden hatte und Daten über die Kanäle hereinkamen: das Gestalt-Bild eines Löwen, zusammen mit dem Linear-Wort für dieses Tier.
    Der Navigator gab unverzüglich die Versuch-und-Irrtum-Methode auf und produzierte krampfartig Wiederholungen, mit denen er dasselbe starre Bild des Löwen immer wieder aufrief. Das ging so lange weiter, bis selbst die einfachsten seiner embryonischen Veränderungsdifferenzierer ihr Dauerfeuer einstellten und er wieder mit dem Experimentieren begann.
    Allmählich bildete sich ein halbbewußter Kompromiß zwischen den zwei Formen der Proto-Neugier des Waisenkindes heraus – zwischen dem Drang, neue Dinge zu erleben, und dem Drang, wiederholte Muster zu erzeugen. Es durchstöberte die Bibliothek und lernte, wie Bündel aus zusammenhängenden Informationen abgerufen wurden – eine zeitliche Sequenz aufgezeichneter Bilder und dann die abstrakteren Querverweise. Es verstand noch nichts von den Inhalten, aber es war darauf programmiert, sein Verhalten zu verstärken, wenn es das richtige Gleichgewicht zwischen Beständigkeit und Veränderung gefunden hatte.
    Bilder und Töne, Symbole und Gleichungen strömten durch die Netzwerke des Waisenkindes, ohne daß etwas von den Details hängenblieb – weder die Gestalt im Raumanzug, die auf grauer und weißer Felsoberfläche vor einem pechschwarzen Himmel stand, noch der reglose, nackte Körper, der sich unter einem grauen Schwarm aus Nanomaschinen auflöste. Es nahm lediglich die einfachsten Regelmäßigkeiten und allgemeinsten Assoziationen auf. Die Netzwerke entdeckten das Muster Kreis/Kugel: in Bildern der Sonne und der Planeten, in Iris und Pupille, in einer zu Boden gefallenen Frucht, in Tausenden verschiedener Gegenstände, Kunstwerke und mathematischer Diagramme. Sie entdeckten das Linear-Wort für
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