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Dezemberglut

Dezemberglut

Titel: Dezemberglut
Autoren: Linda K. Heyden
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quoll über mit Gedanken und Erinnerungen, die ich nicht begreifen konnte. Schon wieder überkam mich das Gefühl von Unwirklichkeit. Bald würde ich zu Hause aufwachen, in meinem Zimmer und meinem Bett, und merken, dass dies alles nur ein Traum war, ein furchtbarer Albtraum, den ich vor einem Spiegel träumte.
    Ich wusste nicht, wie lange ich dort stand. Als ich weiterging, waren meine Füße trotz Socken und Pantoffeln eiskalt.
    Es gab noch weitere Etagen unter der Erde, irgendwo dort unten musste Julian sein. Wegen des Arkanums, diesem mehrwöchigen Schlaf, zu dem sich wohl jeder Vampir nach soundso vielen Jahren hinlegen musste. Das war unheimlich, so wie alles, was mit Vampiren zu tun hatte.
    Endlich erreichte ich den Gebäudeteil, in dem die Küche untergebracht war. Denn ich wollte zu Georg. Georg war ein stets freundlicher und alter Vampir. Jedenfalls hatte er den ältesten Körper, den ich je bei einem Vampir gesehen hatte – den eines Greises. Er war ungemein höflich und um mein Wohl besorgt.
    Ich wusste, dass Georg mich schon längst gehört hatte und erwartete, vermu t lich, seit ich aus dem Bett gestiegen war. Als ich die helle Küchentür vorsichtig öffnete, lächelte er ernst, nahm ein Glas mit warmer Milch aus der Mikrowelle und stellte es auf den Küchentisch. Manchmal sind Vampire moderner, als sie aussehen.
    „Danke.“ Ich setzte mich.
    Georg stellte nie die falschen Fragen und nie eine zu viel.
    Meistens fragte er überhaupt nicht.
    Stattdessen setzte er mir einen Teller mit frischem Brot vor, gebuttert und mit rohem Schinken und Käse belegt. Gestern war es Lachs gewesen. Die Portion war selbst für einen Leistungssportler zu groß. Inzwischen verzichtete ich darauf , ihm zu sagen, dass ich keinen Hunger hatte, aß zwei Scheiben, um ihn nicht zu krä n ken , und trank meine Milch.
    Ich beobachtete, wie Georg über glatte Flächen und Schränke wischte, die vol l kommen sauber waren. Entweder war er absolut zwanghaft, oder er suchte einen Grund, um mir Gesellschaft zu leisten.
    Im Radio lief ein klassisches Nachtprogramm. Musik und Nachrichten, die mir sagten, dass die vertraute, mehr oder weniger normale Welt da draußen noch i m mer existierte, beruhigte n mich. Das galt sogar für die monotone Aufzählung von Autobahnen, Baustellen und Verkehrsstaus. Schließlich bedankte ich mich bei Georg, wünschte ihm eine gute Nacht und ging zurück ins Bett.
    Während die Nachttischlampe brannte, schloss ich die Augen und wartete.
    Ich liebte es, zu schlafen. Wenn ich keine Träume hatte. Hätte es dafür eine G a rantie gegeben, wäre ich süchtig nach Schlaf geworden.

Kapitel 4
     
    Die Bürotür flog auf.
    „Diese Kleine. Charis. Ich kann unmöglich ihr Mentor sein.“
    Pierre sah von einem Papierstapel auf, legte umständlich Stift und Papiere be i seite und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    „Du musst einen anderen finden“, beharrte Damian.
    „Es war Julians ausdrücklicher Wunsch.“
    Pierre beobachtete fasziniert, wie seine Worte wirkten.
    Damians Gesichtsausdruck hätte nicht mehr Erstaunen zeigen können, wenn er plötzlich rückwärts gesprochen hätte, dachte er mit einem seltenen Anflug von Humor. Aber Damian hatte ihn sehr gut verstanden, und Pierre hütete sich, auch nur ein Augenblinzeln zu zeigen, um ihn nicht noch mehr zu provozieren.
    „Julian? Aber … warum? Was hat er sich dabei gedacht?“
    „Er hat mir keine Erklärung gegeben“, meinte Pierre höflich. „Nach seinem Arkanum solltest du ihn fragen.“
    Auch Pierre hatte sich gewundert, dass Julian diese junge Frau ausgerechnet Damian zugeteilt hatte. Damian war für vieles bekannt, Freundlichkeit, Geduld und Selbstbeherrschung gehörten nicht dazu. Kurz verspürte er Mitleid mit dem Mädchen und fragte sich, ob nicht Eva oder überhaupt jeder andere als Mentor geeigneter wäre. Aber Pierre vertraute Julians Entscheidungen. Julian hatte für alles, was er tat, gute Gründe, das sollte auch Damian wissen.
    Julians Absichten waren so ehrenhaft wie seine Fähigkeiten außergewöhnlich, das wusste Pierre nicht erst, seit er einmal an dessen Visionen und Macht hatte teilhaben dürfen.
    Damian sah ihn wütend an, dann krachte die Tür mit so viel Schwung hinter ihm ins Schloss, dass Pierre um die Scharniere fürchtete. Er betrachtete die polie r te Eichentür. Das Holz bebte noch immer. Pierre schüttelte den Kopf und ve r trieb den Anflug von Kopfschmerzen, den Damians gereizter Blick ausgelöst ha t te. Er versuchte,
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