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Dexter

Dexter

Titel: Dexter
Autoren: Jeff Lindsay
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vergessen, und Joes Geld würde dafür sorgen, dass die Anklage sich auf Jagen außerhalb der Saison beschränkte, worauf die Strafe von zwanzig Stunden gemeinnütziger Arbeit stand. Eine bittere Pille, gewiss, aber so stand es nun einmal um das Rechtswesen der alten Hure Miami, und wir hatten selbstverständlich nichts anderes erwartet.
    Und so nahm das Leben erneut seinen alten Rhythmus auf, bei dem der Umfang von Deborahs Taille, Lilys volle Windeln und Onkel Brians freitagabendliche Besuche zum Essen – inzwischen Höhepunkt unserer Woche – den Takt vorgaben. Der Freitagabend war aus vielerlei Gründen ideal, unter anderem, weil Debs dann ihren Geburtsvorbereitungskurs besuchte und so die Chance gering war, dass sie unerwartet hereinschneite und meinen Bruder in Verlegenheit brachte; vom rein technischen Standpunkt aus betrachtet, hatte er immerhin vor einigen Jahren versucht, sie umzubringen, und ich wusste nur zu gut, wie nachtragend sie sein konnte.
    Doch Brian hatte vor, noch eine Weile in der Gegend zu bleiben; anscheinend genoss er es wirklich, den Onkel und großen Bruder zu spielen. Außerdem war Miami natürlich seine Heimat, und er war überzeugt, dass er hier trotz der Wirtschaftslage am ehesten einen Job finden konnte, der seinen besonderen Fähigkeiten entsprach, zudem sein Geld noch eine Zeitlang reichen würde. Welche Fehler Alana auch immer besessen hatte, Talent hatte sie großzügig entlohnt.
    Zu meiner großen Überraschung und meinem tiefen Unbehagen hatte auch ein anderer Rhythmus erneut eingesetzt, trotz des allmählichen und stetigen Wachstums meines neuen menschlichen Ich. Nach und nach, zu Beginn so subtil, dass ich es kaum wahrnahm, begann ich ein Ziehen im Nacken zu verspüren – nicht in meinem körperlichen Nacken, überhaupt nicht irgendwie körperlich, sondern … hinter mir und …?
    Ich drehte mich immer verblüfft um, sah jedoch nichts und schob es dann auf Einbildung, nur eine verzögerte nervliche Reaktion auf alles, was ich durchgemacht hatte. Der arme, ramponierte Dexter war schließlich wahrlich gebeutelt worden. Vollkommen normal, dass ich mich nach diesem physischen und mentalen Trauma noch eine Zeitlang unbehaglich fühlte, sogar nervös. Vollkommen verständlich, ganz alltäglich, kein Anlass zur Beunruhigung, einfach nicht dran denken. Und dann widmete ich mich wieder meinen gewöhnlichen, menschlichen Angelegenheiten wie Arbeitszeit – Freizeit – Fernsehzeit – Schlafenszeit, diesem unaufhörlichen Kreislauf, ohne weiter darüber nachzudenken, bis es das nächste Mal passierte und ich wieder abrupt in meinem augenblicklichen Tun innehielt und mich nach dem Ruf einer unhörbaren Stimme umdrehte.
    So verstrichen mehrere Monate, in denen das Leben trüber und Debs dicker wurde, bis sie den entsprechenden Umfang erreicht hatte, um den Termin für die Babyparty festzusetzen. Als ich an jenem Abend die Einladung in der Hand hielt und rätselte, welches perfekte Geschenk ich ihr zu diesem gesegneten Anlass machen konnte, spürte ich wieder das Ziehen dieser lautlosen Stimme und drehte mich um. Und erkannte, was hinter mir im Fenster leuchtete.
    Der Mond.
    Der volle, leuchtende, feiste, hinreißende Mond.
    Verlockend, unwiderstehlich, schimmernd und strahlend, wundervoll heller, vorlauter Mond, der mit reptilienhaft stählerner Stimme Koseworte raunte, die beiden weichen Silben meines Namens mit dieser alten schattenliebenden, dunkeläugigen Stimme wisperte, die ich schon so oft vernommen hatte, so vertraut und warm und erneut so seltsam willkommen.
    Hallo, alter Freund.
    Wieder spürte ich, wie die ledrigen Schwingen raschelten und sich im dunklen Verlies entfalteten, hörte das freudige Flüstern des Passagiers, der mir seine Zurückweisung verzieh und die glückliche Wiedervereinigung beschwor.
    Es ist so weit,
zischte er voll eisiger Wonne, dass die Dinge wieder so sein würden, wie sie immer gewesen waren.
Das wurde auch Zeit.
    Allerdings.
    Ich hatte geglaubt, darüber hinweg, der Rassel und dem Dolch des Passagiers entkommen zu sein, doch ich hatte mich geirrt. Ich konnte ihn nach wie vor spüren, spürte ihn stärker denn je, den feisten, blutroten Mond am Fenster, der mich mit seinem höhnischen Grinsen lockte, mich herausforderte zu tun, was getan werden musste, und zwar sofort.
    Jetzt.
    In den noch feuchten Winkeln meiner neu erworbenen menschlichen Seele wusste ich, dass ich es nicht konnte, es nicht wagte, nicht durfte – ich hatte familiäre
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