Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dexter

Dexter

Titel: Dexter
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
aufpassen, wo du hintrittst.«
    Wir erreichten ohne weiteren Zwischenfall den Haupteingang, was eine Erleichterung war, da unser Glück früher oder später enden musste und wir womöglich auf eine Horde Piraten trafen, oder zumindest auf einige, die nüchtern waren, und dann würde es schwierig. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Schuss noch in Brians geliehener Schrotflinte steckten, aber es konnten nicht mehr viele sein. Selbstverständlich hatte Chutskys Fuß noch jede Menge Tritte geladen, aber wir durften nicht darauf zählen, von bösen Buben rücksichtsvollerweise nur in Kniehöhe angegriffen zu werden. Insgesamt war ich äußerst froh, als das Tor hinter uns lag und wir Debs’ Auto erreichten.
    »Mach die Tür auf«, herrschte Chutsky mich in diesem fordernden Ton an, und ich langte nach dem Griff. »Die hintere Tür, Dexter«, blaffte er. »Himmel!«
    Ich unternahm keinen Versuch, sein Benehmen zu korrigieren; er war zu alt und zu verbittert, um zu lernen, und letztlich hatte sein wiederholtes Versagen an diesem Abend vermutlich seinen Zoll von seinen grundsätzlich guten Manieren gefordert. Stattdessen glitt ich einfach zur hinteren Tür und zog am Griff. Sie war verständlicherweise abgeschlossen.
    »Verdammter Scheiß«, fluchte Chutsky, als ich mich umdrehte, und Brian hob indigniert eine Braue.
    »Diese Sprache«, tadelte mein Bruder.
    »Ich brauche den Schlüssel«, sagte ich.
    »In der hinteren Tasche«, sagte Chutsky. Ich zögerte einen Moment, dann schalt ich mich albern. Schließlich war mir durchaus bewusst, dass er seit einigen Jahren mit meiner Schwester zusammenlebte. Aber dennoch war ich überrascht, dass er automatisch wusste, wo sie ihre Schlüssel hinsteckte. Mir ging auf, dass er sie auf eine Weise kannte, die mir verwehrt war, um kleine häusliche Einzelheiten ihres Lebens wusste, und aus irgendeinem Grund zögerte ich wieder kurz, was selbstverständlich keinen besonderen Anklang fand.
    »Los jetzt, Kumpel, um Himmels willen, zieh den Kopf aus dem Arsch«, schnauzte Chutsky.
    »Dexter, bitte«, schloss Brian sich an. »Wir müssen wirklich rasch verschwinden.«
    An diesem Abend war ich offensichtlich jedermanns Prügelknabe, eine komplette Vergeudung von Protoplasma. Aber jeglicher Widerstand würde noch mehr Zeit kosten. Abgesehen davon stand mit beinah völliger Gewissheit nichts von dem, worüber die beiden einig waren, zur Diskussion. Ich trat zu Deborah, die noch immer auf Chutskys Schulter ruhte, und zog die Schlüssel aus der hinteren Tasche ihrer Hose. Ich schloss den Wagen auf und hielt die Tür, damit Chutsky meine Schwester auf die Rückbank legen konnte.
    Er prüfte kurz Deborahs Zustand, was ihm mit nur einer Hand erhebliche Schwierigkeiten bereitete. »Taschenlampe«, sagte er über die Schulter, und ich holte Deborahs große Maglite vom Vordersitz und hielt sie, während Chutsky ihre Lider hochzog, um zu kontrollieren, wie die Pupillen auf Licht reagierten.
    »Ähem«, räusperte sich Brian hinter uns, und wir drehten uns zu ihm um. »Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich jetzt gern verschwinden.« Er lächelte, diesmal wieder sein altes künstliches Lächeln, und wies mit dem Kopf nach Norden. »Mein Auto steht in einer Einkaufspassage eine halbe Meile von hier. Ich entsorge noch schnell die Flinte und diesen kitschigen Umhang. Wir sehen uns später – vielleicht morgen zum Abendessen?«
    »Unbedingt«, sagte ich, und ob Sie es glauben oder nicht, ich musste den heftigen Drang bekämpfen, ihn zu umarmen. »Danke, Brian«, sagte ich stattdessen. »Herzlichen Dank.«
    »Gern geschehen«, erwiderte er. Er lächelte noch einmal, dann wandte er sich ab und verschwand in der Dunkelheit.
    »Sie wird wieder, Kumpel«, sagte Chutsky. Ich sah zu ihm hinab. Er kauerte noch immer neben der offenen Wagentür. Er hielt ihre Hand und wirkte unendlich erschöpft. »Sie wird wieder gesund.«
    »Bist du sicher?«
    Er nickte. »Ja, ganz sicher. Du solltest sie trotzdem zur Notaufnahme fahren und untersuchen lassen, aber sie wird wieder, wenn das auch kaum mir zu verdanken ist …«
    Er wandte den Blick ab und schwieg einen langen Moment, so lange, dass mir allmählich unbehaglich zumute wurde; schließlich hatten wir uns doch darauf geeinigt, dass wir hier verschwinden mussten. War dies wirklich die richtige Gelegenheit, um zu meditieren?
    »Fährst du denn nicht mit zum Krankenhaus?«, fragte ich, eher, um die Dinge voranzutreiben, als aus dem Wunsch nach seiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher