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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0
Autoren: Claus Christian Malzahn
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kulturelle Hegemonie genannt hat. Dass im Vatikan mit
     Johannes Paul II. nun schon seit über zehn Jahren ein polnischer Papst die Amtsgeschäfte führt, ist sehr hilfreich – aber
     nicht die Ursache für den massenhaften Protest im östlichen Nachbarland.
    Wenn Thorsten Schilling zu Stippvisiten ins nahe Stettin oder zu einem Jazzkonzert nach Warschau fährt, hat er keineswegs
     das Gefühl, nach Osten zu reisen. Politisch gesehen liegt Polen im Westen. Das liegt nicht nur an den westlichen Waren, die
     gegen harte Währung   – Dollar oder D-Mark – überall ungeniert zum Verkauf angeboten werden. Die Leute sind anders. Sie haben offenbar keine Angst mehr vor den Herrschenden,
     obwohl das Kriegsrecht nur ein paar Jahre zurückliegt. Die Staatsgewalt ist weniger präsent. Jede Kirche scheint hier eine
     Trutzburg gegen den verhassten Kommunismus zu sein.
    Man kann sich fragen, warum die Polen als Erste in Europa das sozialistische System niederringen konnten. Gerade weil sie
     jahrhundertelangentweder keinen eigenen Staat besaßen oder – wie zu kommunistischen Zeiten – diesen Staat als fremdbestimmt wahrnahmen, war
     der Wunsch nach Freiheit offenbar besonders ausgeprägt gewesen. Drei Mal wurde das Land zwischen Deutschland und Russland
     aufgeteilt. Um sich gegen die Besatzer zu behaupten, blieb den Polen oft nur ihr Glauben und ihre Sprache. Kaum eine Widerstandsorganisation
     arbeitete während der deutschen Besatzung so effektiv gegen die Nazis wie der polnische Untergrund. Die Erinnerung an diese
     Zeit, die Erfahrungen und das Selbstbewusstsein sowie das selbstverständliche Bündnis mit der katholischen Kirche waren wesentliche
     Voraussetzungen, um die Solidarnosc zum schärfsten und gefährlichsten Widersacher des Sowjetimperiums und der Herrschaft der
     polnischen KP werden zu lassen. Faktisch war die kommunistische Partei in Polen schon 1981 erledigt – niemand glaubte ihr
     mehr, selbst die eigenen Mitglieder nicht. Auch deshalb übernahm die Armee über Jahre die Macht im Land – die Genossen hatten
     sie längst verloren.
    Die Opposition in der DDR war nach 1953 dagegen nie im Stande, die Machtfrage stellen zu können. Das ist kein rückwärtsgerichteter
     Vorwurf an die Bürger der DDR, sondern eine Feststellung. Der Aufstand des 17.   Juni entwickelte sich aus spontanem Protest. Dahinter stand, anders als in Polen Ende der 70er-Jahre, keine schlagkräftige
     Organisation – auch wenn das Regime anschließend stets behauptete, westliche Provokateure und Agenten hätten das Volk zum
     Protest verführt.
    In Polen wurde der Gedanke an den Widerstand – und das nötige Handwerkszeug dazu – dagegen von Generation zu Generation weitergegeben.
     So konnte sich trotz des massenhaften Exodus von Polen in die USA und in viele europäische Staaten der Widerstand entwickeln
     und Freiräume erobern. Wo in Polen selbst während des Kriegsrechts politische Schutzräume existierten, gab es in der DDR lange
     nur Nischen – die meisten übrigensrecht unpolitisch. Natürlich gab es Fluchthelferorganisationen, die vor allem unmittelbar nach dem Mauerbau aus idealistischen
     Motiven heraus versuchten, Freunden und Bekannten aus der »Zone« herauszuhelfen. Aber auch diese unter großem Risiko agierenden
     Gruppen setzten naturgemäß nicht auf einen Kampf gegen das Regime innerhalb der DDR.   Mit der Zeit wurde Fluchthilfe schließlich auch zum professionellen Geschäft. Die zumeist studentischen Gruppen, die sich
     anfangs noch aktiv zeigten, waren nach anfänglichen Erfolgen beim Tunnelbau oder Passfälschen der massiven Abwehr der Staatssicherheit
     nicht mehr gewachsen. Wenn sich in der DDR politischer Protest entlud, 1953 oder 1976, nach der Ausbürgerung des Dichters
     und Liedermachers Wolf Biermann, verpuffte er schnell, vor allem deshalb, weil die Protagonisten sich – ob freiwillig oder
     nicht – rasch im Westen wiederfanden, wenn sie zuvor nicht schon verhaftet worden waren.
    Erst Ende der achtziger Jahre erreicht der Widerstand gegen die DD R-Obrigkeit mit ihrer greisenhaften Immobilität, Doppelzüngigkeit und ihrem Nepotismus eine neue Qualität. Die Zahl der Dissidenten wächst,
     auch in der Provinz. Das hat, außer der sichtbaren Unfähigkeit des SE D-Regimes in Fragen der Wirtschaft und Versorgung, zahlreiche weitere Gründe: In der »Großen Sowjetunion«, wie sie offiziell genannt
     wird, ist seit 1985   Michail Gorbatschow der erste Mann in Staat und Partei. Er propagiert
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