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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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Schloss Königs Wusterhausen «Höllenqualen»: «Der König hatte mit großer Mühe und vielen Kosten einen Sandhügel errichten lassen», schreibt die Prinzessin in ihren Memoiren, «der die Aussicht so stark begrenzte, dass man das Feenschloss erst sah, als man hart davorstand. Dieser sogenannte Palast bestand nur aus einem sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Eindruck durch einen alten Turm mit einer Wendeltreppe verschönert wurde. Das Hauptgebäude war von einer Terrasse umzogen, und ringsum war ein Graben angelegt, dessen stagnierende schwärzliche Flut an die des Styx erinnerte und einen abscheulichen, ja erstickenden Geruch verbreitete.» Auch die Unterkünfte dort waren höchst bescheiden: «Meine Schwester und ich waren mit unserm ganzen Gefolge auf zwei Zimmer angewiesen oder, besser gesagt, zwei Dachstuben. Wir speisten, gleichviel bei welchem Wetter, unter einer großen Linde in einem gedeckten Zelt, und wenn es stark regnete, hatten wir die Füße im Wasser, denn der Boden war ausgehöhlt. Es war stets für vierundzwanzig Personen gedeckt, von denen drei Viertel hungerten, da für gewöhnlich nicht mehr als sechs karg zugemessene Schüsseln aufgetragen wurden.»
    Dass sich im «Feenschloss» Königs Wusterhausen zu Zeiten des Soldatenkönigs keine dreizehn goldenen Teller befunden haben, scheint mir also mehr als glaubhaft. Friedrich Wilhelm I. von Preußen bietet ein schönes Beispiel dafür, wie sich die Tugend der Bescheidenheit schnell in ein Laster verwandeln kann, wenn sie den Mitmenschen aufgezwungen wird.
    Auf die Tugend der Bescheidenheit berief sich auch der berühmte Sohn und Nachfolger des Soldatenkönigs, Friedrich II., der als Kronprinz unter der Strenge seines Vaters noch mehr gelitten haben dürfte als seine Schwester. Nichts anderes als der erste Diener seines Staates wollte er sein. Als Casanova, der sich wie so viele von der Fama des aufgeklärten Königs angezogen fühlte, im Jahr 1764 nach Berlin und Potsdam kam, traf er dort mit dem preußischen Monarchen zusammen. Im Park von Sanssouci machte der große Friedrich dem großen Lebemann seine Aufwartung und weckte in ihm die Hoffnung auf eine Anstellung bei Hofe. Bei einer Führung durch die Räume des Schlosses war Casanova nicht wenig perplex ob der Kargheit des königlichen Schlafgemachs. Ein Paradebett suchte man hier wahrlich vergebens: «Wir erblickten in einer Ecke des Zimmers hinter einem Wandschirm ein schmales Bett; Hausrock und Pantoffel waren nicht vorhanden», schreibt er in seiner Geschichte meines Lebens . «Der anwesende Diener zeigte uns eine Nachtmütze, die der König aufsetzte, wenn er erkältet war.» Sechs Wochen später bot Friedrich der Große dem Venezianer tatsächlich an, in seine Dienste zu treten – ausgerechnet als Erzieher in der Kadettenschule für pommersche Junker. Die Behausung der Zöglinge freilich erschien ihm noch kläglicher als die des Königs – die Säle ohne Möbel außer einem elenden Bett, einem Tisch und ein paar Holzstühlen, die Offiziere in spe ungekämmt und in hässlichen Uniformen. Obendrein wurde er Zeuge eines wenig königlichen Auftritts des Monarchen: «Mir verschlug es die Sprache, als ich sah, wie der große Friedrich in einem Anfall von Zorn einen Nachttopf beanstandete, der neben dem Bett eines Kadetten stand und dem Neugierigen den Anblick eines übelriechenden Bodensatzes bot.» Er habe sich dann «auf Zehenspitzen zurückgezogen», schreibt Casanova. Derart bescheidene Zustände bei Hofe waren mit denen, die der venezianische Bonvivant kannte und schätzte, schwerlich vereinbar.
    Sich selbst ließ der König mit Dreispitz und einem schlichten blauen Uniformrock mit dem Bruststern des Ordens vom Schwarzen Adler abbilden – pompöse Herrscherporträts, wie sie in den mit Preußen konkurrierenden Reichen üblich waren, sollte es von ihm nicht geben. Er prägte damit das Vorbild für manche Potentaten des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich mit einer betont einfachen Erscheinung den Stempel der Volksnähe aufdrückten. Heute wissen wir, dass es mit der Bescheidenheit des großen Friedrich, mag er sie auch noch so ostentativ zur Schau gestellt haben, nicht sehr weit her war. Mit dem Neuen Palais, das er nach dem mirakulösen Sieg im Siebenjährigen Krieg in einer Rekordzeit von nur sechs Jahren errichten ließ, schuf er sich ein Schloss, das mit denen Bayerns und Sachsens in einem Atemzug genannt werden wollte. Er selbst sprach von seiner fanfaronnade , seiner
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