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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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der Schönen und Wichtigen der Stadt in der Zeitung verewigt sehen – in der vielgelesenen Kolumne von Baby Schimmerlos. «Nicht bei mir!», entgegnet ihm resolut der Klatschreporter, hinreißend dargestellt von Franz Xaver Kroetz. Aber gegen die Waffe, die der Parvenü Haffenloher ins Felde führt, erscheint jeder Widerstand zwecklos – es ist die Strategie der offenen und totalen Umarmung. «Ich kauf dich einfach», erklärt er dem verdatterten Schimmerlos. «Ich kauf dir ’ne Villa, dann stell ich dir noch ’nen Ferrari davor. Deinem Weibchen schick ich jeden Tag ’nen Fünfkaräter. Ich schieb es dir hinten und vorne rein. Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Ich schick dir jeden Tag Cash, im Koffer. Das schickst du zurück. Einmal, zweimal, vielleicht sogar ein drittes Mal. Aber ich schick dir jedes Mal mehr, und irgendwann kommt dann mal der Punkt, da biste so mürbe und so fertig, und die Versuchung ist so groß, dann nimmst du es. Und dann hab ich dich. Dann gehörst du mir. Dann bist du mein Knecht und ich mach mit dir, was ich will. Verstehste, Junge, ich bin dir einfach über. Gegen meine Kohle hast du doch gar keine Chance. Begreifst du das denn nicht … Mensch, Baby, Junge, ich will doch nur dein Freund sein. Komm, und jetzt sag Heini zu mir!»

Erfindergeist
    P robiera goht über’s Studiera», heißt es auf gut schwäbisch. Am 31. Mai des Jahres 1811 kam in Ulm am Ufer der Donau eine riesige Menge von Menschen zusammen. Gebannt reckten sie die Köpfe empor zur Adlerbastei, auf deren Mauern ein sieben Meter hohes Holzgerüst aufgebaut war. Dort oben, in zwanzig Metern Höhe, stand der Ulmer Schneidermeister Albrecht Ludwig Berblinger mit einem seltsamen Gerät um Rücken und Arme geschnallt. Mit dessen Hilfe wollte der Schneider aller Welt beweisen, dass der alte Menschheitstraum vom Fliegen kein Hirngespinst war. Er hatte sich vorgenommen, mit seiner Flugmaschine im Gleitflug über die unter ihm liegende Donau hinweg ans andere Ufer zu segeln.
    Eigentlich sollte seine Flugdemonstration bereits am Tag zuvor stattfinden, sogar König Friedrich I. von Württemberg war gekommen, um dem Spektakel beizuwohnen. Berblinger war bereits auf das Podest gestiegen, da musste er feststellen, dass einer der beiden Flügel entzweigebrochen war. Den hatte der Schneider über Nacht repariert. Der König war unterdes schon wieder abgereist, aber dessen Bruder, Herzog Heinrich, hielt noch die Stellung. Allmählich breitete sich in der Zuschauermenge Unruhe aus. Eine Dreiviertelstunde war vergangen, in der Berblinger unschlüssig auf seinem Gerüst hin und her ging – «weiß wie ein Backsteinkäs», so ein Augenzeuge. Die nötigen Aufwinde, die der Erfinder bei seinen bisherigen Flugversuchen hatte, waren ausgeblieben. Doch diesmal gab es kein Zu rück. Schließlich gab sich der Schneider einen Ruck, nahm Anlauf und sprang. Kurz erhob er sich in die Luft, dann plumpste er mitsamt seiner Flugmaschine in die Donau.
    Er überlebte den Sturz, Fischer zogen ihn aus dem Wasser ans Ufer. Doch der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Ein Schmähgedicht mit dem Titel Ikarus der Zweite machte die Runde: «Der Schneider bleibe bei der Nadel/Der Schuster bleib den Leisten treu./So lebt ein jeder ohne Tadel/Und bleibt von Schimpf und Vorwurf frei.» Niemand wollte mehr in Berblingers Schneiderwerkstatt kommen, er wurde als Schwindler gebrandmarkt und aus der Gesellschaft verstoßen. Verbittert und dem Alkohol verfallen, verstarb er im Armenhaus.
    Es dauerte viele Jahrzehnte, bis er rehabilitiert wurde. Der Schneider von Ulm war nämlich kein Scharlatan, sondern ein Mann von Wagemut und Erfindergeist. Viel lieber wäre er Uhrmacher geworden, von Jugend auf hatte er sich für die Mechanik begeistert. Bevor er sich dem Fliegen zuwandte, hatte er bereits zahlreiche Konstruktionen entwickelt, darunter eine neuartige Beinprothese, die am Ulmer Spital erfolgreich zum Einsatz kam. Dafür Werbung zu machen war ihm von den Behörden verweigert worden. Also verlegte er sich auf die Fliegerei. Jahrelang tüftelte er an seiner Flugmaschine und unternahm auf dem Michelsberg, einem aufgelassenen Weinberg, mehrere erfolgreiche Versuche – «wie ein Vogel» sei er von Gartenhaus zu Gartenhaus gehüpft, bezeugte ein Ulmer Bürger.
    Warum aber fiel die Flugdemonstration am 31. Mai 1811 ins Wasser? Der Erfinder wusste nicht um die Gesetze der Thermik: Über dem kalten Wasser des Flusses
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