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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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umsah, sprachen sich zahlreiche ostdeutsche Bürgerrechtler dafür aus, die Kinderhymne zur neuen Nationalhymne zu erklären.
    Dazu ist es dann nicht gekommen, und vielleicht ist dies auch besser so. Denn, wie uns Sanders junge Bauern aus dem Westerwald, die schöne Helene Sedlmayr aus München, Lotte in Wetzlar und Preußens Luise vor Augen führen: Anmut lässt sich nun einmal nicht erzwingen, sie verträgt sich mit der Würde, aber schlecht mit der Mühe, ja sie taugt nicht einmal zum Vorsatz. Im besten Falle stellt sie sich ganz natürlich und von allein ein.

Bescheidenheit
    D ie Brüder Grimm erzählen in ihrem Märchen Dornröschen von einem König und einer Königin, in deren Reich es offenkundig recht bescheiden zuging. Jedenfalls gab es in diesem königlichen Haushalt nur zwölf goldene Teller, so dass von den dreizehn weisen Frauen im Lande nur zwölf zur Feier der Geburt der Königstochter eingeladen werden konnten – mit den bekannten fatalen Folgen. Nachdem elf der Frauen ihre guten Wünsche ausgesprochen haben, erscheint die Dreizehnte ohne Einladung doch noch und rächt sich mit einem Fluch: Die Prinzessin solle sich «in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen». Wenn da nicht noch die Zwölfte gewesen wäre, die noch einen Wunsch freihatte und so den Tod in einen hundertjährigen tiefen Schlaf abmildern konnte, hätte es der schöne Prinz schwer gehabt, Dornröschen und mit ihr den ganzen Hofstaat aus ihrem Dauerschlaf wachzuküssen.
    Wo mag dieses Königreich gelegen haben, in dem der königliche Haushalt so schlecht bestückt war, dass es nicht für dreizehn goldene Teller reichte? Das Frankreich Ludwigs XIV. war es gewiss nicht, aber auch in deutschen Landen kann man es sich schwerlich vorstellen, wo doch hier die Könige und Duodezfürsten samt und sonders be strebt waren, es dem Sonnenkönig gleichzutun und sich, für alle sichtbar, mit Luxus und Reichtum zu umgeben. Eine Residenzstadt und ein Lustschlösschen, ein Opernhaus, eine Fasanerie und eine stattliche Armee – das musste nun schon sein, egal wie klein der Flicken auf dem bunten Teppich des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auch gewesen sein mag.
    Aber hätte es nicht das Königreich Preußen sein können – das des sogenannten Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. beispielsweise, der, als er den Thron bestieg, sich selbst und allen seinen Untertanen Fleiß und Bescheidenheit verordnete? Nur einen winzigen Anteil des Budgets machten bei ihm die Ausgaben des Hofes aus, den Löwenanteil dagegen jene für das Militär. «Mein Vater fand Freude an prächtigen Gebäuden, großen Mengen Juwelen, Silber, Gold und äußerlicher Magnifizienz», erklärte Friedrich Wilhelm bei seinem Amtsantritt der Hofgesellschaft, «erlauben Sie, dass ich auch mein Vergnügen habe, das hauptsächlich in einer Menge guter Truppen besteht.»
    Und er ließ seinen Reden Taten folgen: Er schloss die Oper und schickte die Hofkapelle nach Hause, wandelte den Lustgarten in einen Exerzierplatz um und verpachtete den Großteil der Schlösser im Lande. Er löste den königlichen Weinkeller auf, setzte den Hofgoldschmied und den Chocolatier vor die Tür, ließ Karossen, Sänften, Möbel und Tafelsilber versteigern und verbot die Allongeperücken. Die Prinzessin Wilhelmine – die älteste Tochter des Königs und spätere Markgräfin von Bayreuth – beklagte in ihren Memoiren, dass sie am preußischen Hofe sechs Jahre überhaupt nicht getanzt habe, da keine Bälle mehr stattfanden.
    Von der allgemein verordneten Bescheidenheit und Opferbereitschaft nahm sich der Monarch selbst keineswegs aus. Nur fünf der vielen hundert Zimmer des Berliner Schlosses soll er selbst bewohnt haben, und für seine Bedienung genügten ihm gerade einmal zwei Pagen. Er hielt sich – höchst ungewöhnlich für einen Herrscher seiner Zeit – auch keine Mätressen und verurteilte «Saufen und Fressen davon ein unzüchtiges Leben herkommet». Seine Tafel war, zum Leidwesen der ganzen königlichen Familie und der Hofmeisterinnen, betont karg gedeckt, und nicht selten ging man hungrig zu Bett. Es wurde nicht einmal täglich frisch gekocht, stattdessen kam Aufgewärmtes auf den Tisch. In jener Zeit, so kulinarische Experten, sei der schlechte Ruf der preußischen und namentlich der berlinischen Küche entstanden.
    Während die Tage im Berliner Schloss für die Prinzessin Wilhelmine «Fegefeuerleiden» waren, bedeuteten die regelmäßigen Aufenthalte auf
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